Lindas Welt 8: Graffiti-Tour durch Tübingen

Bunte Blumen auf der Trafostation
Wir machen Tübingen bunter!

Seit 2017 haben es sich die Stadtwerke zur Aufgabe gemacht gegen illegale Graffiti auf ihren Trafostationen vorzugehen, und zwar durch wunderschöne Kunstwerke der Tübinger Graffiti-Szene. Das Projekt steht unter dem Motto „Wir machen Tübingen bunter“. Und das liegt in meinem Aufgabenbereich als Werkstudentin. Ich kann euch also hautnah berichten, was es mit dem Projekt auf sich hat, wer daran mitwirkt und welchen Teil Kinder dazu beitragen. Ich habe für euch den Künstler Looven und die Kunstlehrerin Sarah Dolde interviewt. Außerdem ziehen wir mal wieder eine Zwischenbilanz, denn seit unseren letzten zwei Blog-Beiträgen zu Graffiti ist einiges passiert. Willkommen zur Streetart-Tour, Teil 3!

Unser Graffiti-Projekt

„Warum gerade Trafostationen?“, fragt ihr euch vielleicht. Als 2017 das Projekt begann, war etwa jede vierte unserer Trafostationen durch Schmierereien verunstaltet. Eine Reinigung? Zu aufwändig! Also beschloss unser Abteilungsleiter Johannes, dass wir die Gestaltung einfach selbst in die Hand nehmen. Künstler beauftragt und nun hieß es hoffen, dass das die Schmierer:innen fern hält. Und siehe da: Jahr für Jahr wird Tübingen ein Stückchen bunter und nur sehr wenige Meisterstücke werden durch Schmierereien wieder zerstört. ABER: Wir tun dann auch alles dafür, sie zu ‚reparieren‘, so wie letztes Jahr am Park in der Rheinlandstraße. Mit viel Fingerspitzengefühl und genauer Farbauswahl hat Looven dem beschmierten Erpel auf der Station wieder zu altem Glanz verholfen.

beschmiertes Enten-Graffiti
beschmiertes Enten-Graffiti
repariertes Enten-Graffiti

Ausgesucht werden die Stationen übrigens gemeinsam mit Daniel Kirchhardt, Teamleiter im Technischen Service. Wichtig ist uns die Lage in einem Wohngebiet. Wir wollen ja schließlich, dass sich viele an dem Ergebnis erfreuen und sich nicht mehr über eine hässlich verschmierte Station ärgern müssen. Ich informiere dann alle Anwohner:innen vorab mit einem Brief über das geplante Motiv, sobald der Künstler uns seinen Entwurf vorgelegt hat. Dann kann er direkt loslegen, wenn das Wetter passt.😊 Ach ja, wir beauftragen übrigens jährlich wechselnde Künstler:innen, hauptsächlich aus der Region.

Woher die Motive kommen

Bei unserer letzten Graffiti-Gestaltung 2024 konnten die Anwohner:innen sogar selbst Ideen einreichen. Fast einstimmig war der Wunsch nach Natur, Pflanzen und „etwas Hübschem“ – und siehe da: eine bunte Blumenwiese!

Bunte Blumenwiese in der Friedrich-Dannenmann-Straße
Bunte Blumenwiese schmückt jetzt die Trafostation in der Friedrich-Dannenmann-Straße

Sie stammt von Johannes Blinkle, alias „Looven“. Seit sieben Jahren ist er schon selbstständig und regelmäßig für die Stadtwerke tätig. Looven hat sich eigentlich auf Tiere spezialisiert, die er schon immer gerne gemalt hat, wie er mir erzählt. Und das kann er auch richtig gut. Im Sommer 2024 hat er auf einem riesigen Trafoturm wunderschöne große braune Rehe im Wald gesprüht. Sie sind bei Ammerbuch-Altingen von der Bundesstraße 296 in Richtung Herrenberg zu sehen.

Rehe auf dem Trafoturm Hardtwald
Rehe auf dem Trafoturm Hardtwald, hinter mir stehen swt-Kollege Daniel und Künstler Looven.

Für solch einen Turm benötigt Looven natürlich länger als für eine „normale“ Station. „Mit Entwürfen, Farbwahl und -einkauf sind es da zwischen 18 und 25 Stunden“, erklärt er mir. Das Motiv passt er für jede Station individuell an – je nach Umgebung. Beim Kindergarten in der Eugenstraße hat er Marienkäfer, bunte Zahlen und Buchstaben gestaltet, im Solarpark „Lustnauer Ohren“ einen Vogel vor einer abstrahierten Sonne. Auch diese beiden sind letztes Jahr entstanden.

So geht’s

Als Entwurf wird jedes Motiv erstmal mit dem Tablet auf ein Foto der Trafostation skizziert und dann mit Farben gefüllt. Das bringt er dann auch fast genauso auf die Wand. In der Regel grundiert er die Fassade und malt dann ein sogenanntes „Doodle-Raster“ darauf. An diesem orientiert er sich dann für die Konturen seines Motivs. Ist das beendet, wird alles mit Farbe gefüllt und dann mit Details realistisch gemacht. Alles frei Hand, ohne Schablone – mit Ausnahme unseres Logos, das auf jeder gestalteten Station angebracht wird.

Graffiti gegenüber dem Kindergarten in der Eugenstraße
Graffiti gegenüber dem Kindergarten in der Eugenstraße
Graffiti bei der PV-Anlage "Lustnauer Ohren"
Graffiti im Solarpark „Lustnauer Ohren“

Auch Kindern gefällt das

Seit Neuestem begleitet mich Looven auch beim Projekt „Zeitung in der Schule“ (ZiSch). Das ist ein Projekt des Schwäbischen Tagblatts, das die swt unterstützen. Kinder werden dabei zu kleinen Reporterinnen und Reportern. Mit Stift, Papier und Unmengen an Fragen bewaffnet kommen sie dann zu uns, um über den TüBus, über Schwimmbadtechnik und vieles mehr in einer eigenen Zeitungsbeilage zu berichten. Auch mit einer Graffiti-Tour sind wir dabei, die ich führen darf. Und Looven unterstützt mich, damit die Kinder auch mal einen echten Künstler mit ihren Fragen durchlöchern können. Looven gesteht mir „Ich finde es toll, wenn meine Arbeit die Kinder begeistert und sie danach vielleicht sogar selbst inspiriert sind zu malen.“ Und das sind sie! Nach unserer letzten Tour habe ich ein Bild von einem mit Kreide gemalten Panda auf dem Schulhof bekommen. Ich sollte es Looven weiterleiten! Eine wahre Inspiration 😉

Apropos: Ich habe ihn gefragt, wer denn sein Lieblingskünstler oder -künstlerin ist. Da wollte er sich nicht festlegen: „Es gibt hunderte Künstler und Künstlerinnen, deren Arbeiten ich bewundere und die mich inspirieren. Ich finde es auch gut, dass Kunst immer mehr im öffentlichen Raum stattfindet, finanziert und beauftragt wird. Es gibt noch jede Menge trister Stellen in den meisten Städten, die etwas Farbe vertragen könnten. Das positive Feedback, dass ich während meiner Arbeit bekomme, zeigt mir, dass die meisten Menschen das ähnlich sehen.“

ZiSch-Graffiti Tour an der Steinlach mit Linda und Looven

Die Street-Art AG am Carlo-Schmid-Gymnasium

Graffiti-Kunst im öffentlichen Raum – davon gibt es noch mehr bei den Stadtwerken! Bei unseren Projekten arbeiten wir nicht nur mit Auftragskünstlern zusammen. Vor einiger Zeit bekam ich die Anfrage von Lehrerin Sarah Dolde, ob wir für ihre Street-Art-AG ein paar Stromverteilerkästen zur Verfügung stellen könnten. Das sind die kleinen grauen Kästen, die gefühlt an jeder Straßenecke zu sehen sind. Das unterstützen wir natürlich sehr gerne und lassen nun schon zum dritten Mal einige Kästen von den Kids der AG gestalten.

Gruppenbild der Street-Art-AG
Gruppenbild der Street-Art-AG

Die Street-Art-AG am Carlo-Schmid-Gymnasium gibt es seit dem Schuljahr 2022/23 für Kinder der Klassen 5 bis 9. „Mein Versprechen an die Kids ist, dass am Ende des Schuljahres jedes einen Stromkasten besprayen darf. Bis jetzt haben wir rund um die Schule knapp 20 Stromkästen gestaltet, mit Motiven zum Klimaschutz, Frieden oder zu Kinderrechten.“, sagt Sarah. Auf meine Frage, wie sie die Themen auswählt, erwidert sie: „Oberstes Ziel meiner Arbeit ist es, durch die Kunst Sichtbarkeit für die Meinung von Kindern zu schaffen. Die Verteilerkästen der Stadtwerke bieten hier den optimalen öffentlichen Raum, in dem Kinder ihre Botschaften platzieren können. Da es einfach ist, gegen etwas zu sein, setzen wir uns für etwas ein: nämlich die eigenen Rechte. Zum Beispiel das Recht auf Bildung. Die Kids gestalten die Motive dann gemeinsam.“ Im letzten Jahr haben die swt das Projekt auch ein bisschen unterstützt und die teuren Spraydosen finanziert.

Auch Looven hat schon oft mit Kindern gearbeitet. Er bietet Workshops an, die meist in der offenen Jugendarbeit stattfinden. „Es ist immer schön, junge Menschen für Kunst zu begeistern oder mit ihnen zu malen.“

An der Schule von Sarah hat das Graffiti-Projekt schon die Runde gemacht, und sie wird öfters auf die gestalteten Kästen rund um die Schule angesprochen. „Alle freuen sich, dass sie nicht mehr grau und langweilig sind“, erzählt sie mir. Das ist großartig – und noch lange nicht alles. Sarah ist begeistert von der heiteren Stimmung im Klassenzimmer, wo es auch mal Süßis gibt und man gemeinsam Musik hört. Ihr schönstes Feedback ist es, wenn die kleinen Straßenkünstlerinnen und -künstler neben ihren fertigen Kästen stehen und über das ganze Gesicht strahlen. Das macht mich auch glücklich, da ich ja irgendwie einen kleinen Teil dazu beitrage.

Street-Art in Aktion – Die Kids mit ihren selbst gestalteten Stromverteilerkästen

Macht doch selbst mal einen Spaziergang durch Derendingen und begebt euch auf die Suche nach Straßenkunst! Das machen die Kinder nämlich auch, bevor sie mit ihren eigenen Projekten starten. Dabei lernen sie etwas über legale und auch illegale Graffiti sowie sogenannte „Tags“, die persönlichen Unterschriften, mit denen Wände und Bänke, Brücken und Bushaltestellen oft markiert werden. Aber auch ‚richtige‘ Kunstwerke wie die von Looven und Mango. Erkennt ihr die Signaturen der beiden auf den zwei weiteren Graffitis, die letztes Jahr entstanden sind?

Looven beim Live-Sprayen auf dem swt-Campus
Looven beim Live-Sprayen auf dem swt-Campus
Zaunkönig auf dem swt-Campus
Zaunkönig auf dem swt-Campus
Kohlmeise und Stieglitz in der Derendinger Straße
Kohlmeise und Stieglitz in der Derendinger Straße

Mehr zu dieser Aktion findet ihr übrigens auf unserer Webseite.

Auch Künstler Mango – eigentlich Felix Schwarz – unterstützt begeistert Kunstprojekte mit Kindern. Zum Beispiel 2024 mit der Passerelle Tübingen: In einem viertägigen Graffiti-Workshop übten geflüchtete Kinder aus der Ukraine und Afghanistan das Graffiti-Sprayen und durften sich auf der Trafostation in der Ebertstraße verwirklichen. Mango erzählt mir, dass die Stimmung trotz Regen und Wind super war und alle sehr stolz auf ihre Werke sind.

Geflüchtete Kinder gestalten die Trafostation in der Eugenstraße
Geflüchtete Kinder gestalten die Trafostation in der Eugenstraße.

Kinder, Kinder und noch mehr Kinder!

Ein anderes Sozialprojekt war 2023 „Streetart.POWER“ mit der „Aktion Sahnehäubchen“ der Caritas Schwarzwald Gäu und ebenfalls mit Sarah. Auch dafür habe ich die Stromverteilerkästen genehmigt. In Workshops haben Kinder zwischen 5 und 10 Jahren ihre eigenen Motive entwickelt, und dann in der Tübinger Innenstadt kleine Hingucker geschaffen. Zum krönenden Abschluss präsentierten die stolzen Kinder ihre Kunst vor geladenen Gästen im Garten der Museumsvilla Tübingen. Das Schwäbische Tagblatt hat einen Artikel darüber veröffentlicht.

Gruppenbild "Streetart.POWER"
Gruppenbild „Streetart.POWER“

Mit Stolz blicken auch die swt auf das Jahr 2023. Eine bunte Tier- und Pflanzenwelt hat viele weitere Trafostationen erobert, aber auch eine „elektrisierende“ Station ist entstanden und ein einzigartiges Graffiti mit der Airbrush-Technik mit Platine und Glühbirne, schmücken seither Tübingen.

Mein Lieblingsmotiv stammt von 2022 und wurde kürzlich ‚repariert‘, wie anfangs gezeigt: die Enten aus der Rheinlandstraße von Looven! Sarahs Liebling sind die leuchtenden Blumen in der Friedrich-Dannenmann-Straße und Loovens ist sein riesiger Schwan am Parkhaus Metropol, der noch vor meiner Zeit entstanden ist.

Schwan am Metropol Parkhaus

Wenn ihr noch mehr zu den Hintergründen unserer Graffiti erfahren und auch alle anderen Motive sehen wollt, könnt ihr hier im Blog gleich weiterlesen.

Und wenn auch ihr einen grauen, hässlichen Verteilerkasten vor eurer Haustür habt, dann schreibt mir einfach eine E-Mail und ich schaue, ob eine Gestaltung möglich ist.

Eure Linda

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