Wenn die Sonne brennt und das Wasser kühlt
Viel zu schnell war sie vorbei, unsere Tübinger Freibadsaison 2022! Wehmütig schauen wir zurück und erinnern uns mit diesem Gastbeitrag unseres Bäderkollegen Bernd Gugel an herrliche Sommertage. Bernd berichtet, wie ein typischer Freibadtag aus der Sicht der Mitarbeitenden am Beckenrand aussieht. Von der Früh- bis zu Spätschicht. Von wackeren Frühschwimmern und romantischen Sonnenaufgängen. Von Kampfkraulern und Sonnenanbetern. Von quirligen Nachmittagsmassen und vom Großreinemachen am Abend.
„Nachts sind alle Katzen grau!“ Im dunklen und ruhigen Grau des anbrechenden Tages beginnen auch die Tage im Freibad, an denen nachmittags die Massen toben und sich niemand mehr vorstellen kann, dass es auch mal wieder ruhig und kühl werden kann. Wenn die Sonne brennt, das Wasser kühlt und der Mensch ins Freibad flüchtet, um den Tag zu ertragen. Der Sommer 2022 hatte es in sich! Wochenlang Sonne pur, kein Regen. Und Zigtausende suchten Abkühlung bei uns im Freibad.
Unbemerkt, aber hoch geschätzt – die tägliche Vorbereitung
Für uns Bäder-Angestellte startet der Freibadtag schon eine Stunde bevor das Bad öffnet. Also im Juli um 5 Uhr morgens. Das Personal der Frühschicht macht das Bad startklar. Die „Mariner“, so werden unsere Unterwasser-Reinigungsroboter genannt, haben die ganze Nacht über die Beckenböden abgefahren, um kleine und kleinste Abfälle und Unsauberkeiten aufzusammeln. Sie müssen jetzt an Land gebracht und gereinigt werden. Die Wasserwerte müssen kontrolliert und gegebenenfalls nachgesteuert werden. Sitzbänke werden vom Regen oder Tau der Nacht getrocknet, Sonnenschirme aufgespannt, die Schwimmbahnen mit Aufstellern gekennzeichnet, die Durchschreitebecken gefüllt, am Beckenumgang verbliebener Müll aufgesammelt. An Etliches müssen wir denken, damit der Freibadtag mit den ersten Frühschwimmern beginnen kann.
Die Treusten der Treuen – unsere Frühschwimmer
Um sechs Uhr stehen sie vorm Rolltor: die eifrigen Frühschwimmer. Die Treuesten der treuen Badegäste – und die wetterunempfindlichsten, die das Freibad überhaupt hat. Unsere Frühschwimmerinnen und Frühschwimmer sind weder von Regen noch von Kälte von ihrem Freibadbesuch abzubringen. Dabei hätten etliche derjenigen, die da von der ersten Minute an schwimmen, eigentlich jede Menge Zeit, um auch später am Tag zu kommen, denn viele von ihnen sind im Ruhestand. Aber Rituale sind Rituale. Und was Körper und Geist verlangen, das sollen sie auch bekommen. Natürlich sind auch andere dabei, die vor der Arbeit schon ihre Bahnen ziehen – für Fitness und Wohlbefinden oder zu Trainingszwecken.
Und manche kommen auch schon im Morgengrauen wegen der Sonne. Fantastisch schöne Sonnenaufgänge sind im Freibad zu erleben. Die rosa Scheibe erhebt sich langsam über dem Sportbecken, vor dem zartblauen Himmel, wird dabei immer feuriger und strahlender. Eine ungemein stimmungsvolle Atmosphäre ist das. Nicht nur zu sehen ist sie, sondern auch zu fühlen: Das Wasser dampft, die Luft ist kühl und klar. Und sobald die Sonne sich immer mehr durchsetzt, beginnt sie das Freibad mit Licht und Wärme zu beglücken. Für manche – auch für mich – ist das der schönste Moment des Tages überhaupt.
Mein Job ist es, als Rettungsschwimmer für Sicherheit zu sorgen. Zum Glück kommt es aber sehr selten zu Rettungseinsätzen. Daher bin ich ebenso als Ordnungsdienst, Organisator, Reinigungskraft, aber auch Helfer und Ansprechpartner für alles Mögliche tätig. Die Kommunikation ist wichtig: Für viele, vor allem unsere Stammgäste, ist das Freibad auch ein Raum der Begegnung. Da gehört ein freundliches Hallo dazu, auch mal Small Talk über dies, das und übers Wetter, sofern der Betrieb dies zulässt.
Um acht Uhr hat sich die Frühschwimmergemeinde verabschiedet und ist anderswo aktiv. Jetzt wird’s wieder ruhiger. Etwa ab 10 Uhr, vor allem natürlich an den sonnigen Tagen, kommen die Genuss-Schwimmenden, die Sonnenanbeter, Seniorinnen und Senioren, die sich auch mal Zeit nehmen für ein Schwätzchen. Die Menschen, die zeitlich flexibel sind und gerne auch mal ausschlafen und gemütlich frühstücken, bevor es zum Schwimmen geht.
Geht es dann auf die Sommerferien zu, wird es auch schon vormittags lebhafter im Bad. Schulklassen kommen zum Schwimmunterricht – und wir müssen entsprechend Platz auf den Bahnen schaffen. Schwimmenlernen ist wichtig, aber auch der Spaß soll nicht zu kurz kommen. Viele Lehrer geben noch Zeit fürs Rutschen und Springen. Wenn dann die Ferien beginnen, sind schon morgens Kinder und Jugendliche hier, um den Sommer mit Sport, Spiel und Spaß zu genießen.
Um die Mittagszeit wandelt sich die Badbelegung: Nun kommen diejenigen an, die ihre Mittagspause zum Schwimmen und Abschalten nutzen wollen. Wer vom Schwimmen hungrig geworden ist, geht heim zum Essen und Ausruhen.
Für uns ist um die Mittagszeit Schichtwechsel: Wer Frühschicht hatte, macht jetzt Feierabend. Bevor die Spätschicht beginnt, gibt es noch die so genannte Mittelschicht. In der Hochsaison oft auch mehrere zeitlich versetzte Mittelschichten – zur Unterstützung am späten Vormittag und Nachmittag, wenn es am meisten zu tun gibt. Zudem haben wir alle ja noch eine Arbeitspause – die ich meistens für mein eigenes Schwimmtraining nutze. Obwohl es bei dem durchaus anstrengenden Job oft nicht leicht ist, mich zu motivieren. Die vielen Runden, die wir um die Becken drehen, die Hitze, der hohe Geräuschpegel – das macht müde. Und so suche ich auch manchmal für eine halbe Stunde die ruhige Liegewiese auf. Eine Kleinigkeit zu essen geht meist nebenher. Ganz wichtig an unseren Arbeitstagen ist das Trinken: Und so achten wir darauf, dass unsere Mineralwasservorräte nicht ausgehen.
Jetzt wird’s voll
Nachmittags beginnt die Rush-Hour! Dann strömen Unzählige aus den verschiedensten Gründen ins Freibad, um Spaß zu haben oder um der Hitze des Tages zu entfliehen. Der Kinderbereich, das Planschbecken, das Nichtschwimmerbecken füllen sich, am Sprungturm und an den Rutschen bilden sich Schlangen. Für uns Beckenaufsichten wird’s anstrengend: Wir müssen die Augen überall haben. Wir schalten den Wasserpilz an, damit die Kids darunter toben können. Die Liegewiese wird bunt und bunter von den vielen Strandtüchern – zum Glück ist unser Gelände so groß! Die Beachvolleyballfelder werden intensiv bespielt. Die Sitzbänke im schattigeren Bereich um die Becken herum sind sehr begehrt, ebenso die Plätze unter den Sonnenschirmen. Und draußen vorm Haupteingang werden selbst die Fahrradabstellplätze knapp.
Im Kiosk steigt die Nachfrage nach Eis, die Sonnencreme ist unerlässlich, im Planschbecken wird um die Wette gespritzt, und am Beckenrand präsentieren sich die Schönen im Style der Saison. Die kleineren Jungs – aber auch manche nie so ganz erwachsen gewordenen Männer – toben an den Startblöcken und anderswo herum. Die Mädels sind wie eh und je begehrte Opfer, um kreischend ins Wasser geworfen zu werden. Die Ruhebedürftigen bitten darum, dass nicht ganz so arg getobt und gelärmt werden soll. So ein Trubel! Überhaupt sind manche der Meinung, dass alles früher ganz anders und viel besser zuging. Dass da noch Ordnung am und im Becken herrschte und dass die Jugend heutzutage unmöglich sei.
Im Sportbecken beklagen sich die „Kopfoben-Schwimmenden“ über die spritzenden „Kampfkrauler“, die Leistungsschwimmer auf den Bahnen sind genervt von „lahmen Enten“, die es nicht blicken, dass sie zu langsam vorankommen und ausgerechnet die Bahn blockieren, die mit „Sehr schnelles Schwimmen“ gekennzeichnet ist. Da braucht man bisweilen diplomatisches Geschick, um die passenden Worte zu finden und die Leute auf die „richtige Bahn“ zu lenken. Wer lässt sich schon gerne sagen, zu langsam zu sein … Bei beratungsresistenten Zeitgenossen sind auch mal deutliche Worte erforderlich.
Waghalsige Sprünge werden am Fünfmeter-Turm dargeboten, die Zuschauenden applaudieren, vergeben Stilnoten und fordern Zugaben ein. An der Blauen Rutsche herrscht ohrenbetäubendes Kindergeschrei, das auf Dauer kaum zu ertragen ist. Auf der silbernen Riesenrutsche wird schon wieder von den „üblichen Verdächtigen“ das Wasser gestaut, um noch schneller rutschen zu können. Doch das ist wegen der damit verbundenen Unfallgefahr verboten – und ich muss wie so oft einschreiten und sehr deutlich werden, denn der jugendliche Übermut lässt sich nicht so schnell stoppen.
Die Beckenaufsichten wandern derweil mit angespanntem Blick aufs Wasser um die Becken und sehnen sich nach dem nächsten Regentag, um endlich mal wieder durchschnaufen zu können. Der Freibadchef marschiert forschen Schrittes durchs Gelände, andauernd mit dem Telefon am Ohr, denn ständig ist sein Typ gefragt, um dies oder das zu regeln.
Die Masse tobt
Im Nichtschwimmerbecken entfernen wir schließlich die Trennleinen, denn die tobende Masse der Abkühlungsbedürftigen will keinen Raum mehr lassen für die, die lieber in geordneten Bahnen schwimmen. Die Kids werfen sich die Bälle zu und treffen leider immer wieder andere, die am Spiel nicht beteiligt sein wollen und dies auch nicht lustig finden. Die einen suchen erschöpft den Schatten, andere sind im Treiben kaum zu bremsen.
Man sieht Sonnengebräunte, Bleichgesichter und Rothäutige, Athleten und Couchpotatos, Dünne und Dicke, Große und Kleine, Schöne und weniger Attraktive, Studierende und Lehrende, Chefs und Angestellte, die Kinderkrankenschwester ebenso wie den Chirurgen oder den Bauarbeiter, den Baubürgermeister und die Verwaltungsangestellte, Alt und Jung, Arm und Reich – den ganzen Querschnitt unsrer Gesellschaft. Alle sind sie im Freibad, und alle sehen sie irgendwie anders aus als sonst so, wenn man sich auf der Straße begegnet.
Wenn die erschöpften Beckenaufsichten es ablehnen, das xte Seepferdchen abzunehmen, wenn die Espressomaschine im Pavillon glüht, weil die Sonne darauf knallt, zum Kaffeetrinken vor lauter Stress keine Zeit ist, wenn die Reinigungskräfte nur noch am Schrubben, Wischen und Ausspritzen sind, die Mülleimer immer wieder überquellen, die Wasser- und Lufttemperaturen ständig weiter nach oben klettern, wenn die Sicht im Wasser trüber wird und die Schlangen vor der Kasse nicht enden wollen, dann ist Hochbetrieb! In diesem Sommer lag das Maximum bei gut 8.000 Gästen an einem Tag.
Je später der Abend, desto ruhiger
Uns Beckenaufsichten dröhnt der Kopf vor lauter Toben und Tosen. Doch irgendwann wird’s dann wieder ruhiger im Freibad. Meist dann, wenn sich die Sonne hinter Wolken versteckt oder wenn es Abend wird und sie hinter dem Schlossberg verschwindet. Manche wünschen sich vielleicht, dass dieser Berg endlich abgetragen wird, damit der Sonnentag länger währt. Endlich wird es kühler. Abgekühlt, ausgetobt, erholt oder auch genervt geht die große Masse wieder heim. Zur Ablösung kommen die Feierabendschwimmer, die Abendgenießer – Gäste, die bis zum Sonnenuntergang noch Bahnen schwimmen, für den nächsten Wettkampf trainieren oder einfach den Tag aktiv ausklingen lassen.
Der Abend ist auch die Zeit der Vereine mit ihren Trainingsgruppen. Die zahlreichen Triathleten, Schwimmerinnen und Schwimmer, die bis hinauf in die Bundesliga um Bestzeiten, Platzierungen, Pokale und Meistertitel kämpfen, um Ruhm und Ehre für ihren Verein – sie bereiten sich in unzähligen Trainingseinheiten gezielt auf ihre Rennen vor.
Doch erst wenn die Trillerpfeifen der Spätschicht in der Dämmerung der anbrechenden Nacht ertönen, verlassen die Letzten notgedrungen das Schwimmbecken. Aber erst dann. Keinesfalls früher und schon gar nicht freiwillig. Bis die Allerletzten von der Leitung der Spätschicht freundlich vom Beachvolleyballfeld gebeten, dann später nochmal weniger höflich, dafür strenger, vom Sportgelände vertrieben sind, bis die letzten Dauerduscher das warme Wasser nicht mehr verplempern und die Umkleideräume verlassen sind, dann wird der Badetag zum Aufräum- und Putztag für alle, die dann noch zu arbeiten haben.
Nach dem Freibadtag ist vor dem Freibadtag
Die Mariner müssen eingesetzt werden, damit am nächsten Morgen die Schwimmbecken wieder sauber sind, der Müll muss aufgelesen und entsorgt werden, Vergessenes verwahrt werden, damit die Leute die Fundsachen wiederbekommen. Es wird geputzt und aufgeräumt, denn nach dem Freibadtag ist vor dem Freibadtag. Die Gäste von morgen erwarten zu Recht ein schönes, blitzsauberes und einladendes Freibad. Das alles will vorbereitet sein. Aber dann, eine Stunde nach Badeschluss (manchmal aber auch später), gibt’s auch für die Schaffenden im Freibad den wohlverdienten Feierabend.
Hasen und Enten tummeln sich dann wieder dort, wo sich Stunden zuvor Menschen getummelt haben. Die Ruhe der Nacht bricht ein. Eine Ruhe, die in lauschigen Sommernächten immer mal wieder von Übermütigen ausgenutzt wird, die dem Nervenkitzel nicht widerstehen können, mal unerlaubt ins Freibad einzusteigen und es als Privatbad zu nutzen. Wehe dem, der dabei Schaden verursacht! Das Freibad ist natürlich gesichert – nicht nur mit Zaun und Schlössern, sondern auch mit lichterzeugenden Bewegungsmeldern und Videokameras. Aber auch die nächtlichen Eindringlinge gehören im Grunde dazu, zum klassischen Freibadtag.
So quirlig und lebhaft, wie ich es nun geschildert habe, ist natürlich längst nicht jeder Tag. Es kommen dann auch wieder ruhigere, regnerische und kühle Tage, an denen wir uns nach etwas mehr Trubel sehnen. Hochbetrieb ist ja nur in wenigen Wochen pro Jahr, meist im Frühsommer, vor den Sommerferien, wenn die Tage lang, die Hitze groß und die wenigsten im Urlaub sind. Freibad, das ist Leben pur in seiner ganzen Vielfalt. Und als Beckenaufsicht bin ich mittendrin im sportiven Leben.
Bernd Gugel
hatte diesen Text schon während der Corona-Zeit aufgezeichnet und nun für euch aktualisiert.
Wie immer spannend und unterhaltsam geschrieben. Als Badegäste nimmt man das gar nicht so wahr, wie viele Menschen da arbeiten müssen und wie lange, damit man ein sauberes und einladendes Freibad antrifft. Vielen Dank dafür!
Ich bin, als ich noch jünger war, ein großer Freibadfan gewesen, in den letzten Jahren gar nicht mehr, aber dieser Blog hat mir durchaus wieder Lust gemacht.
Vielen Dank, das freut uns sehr!
Die nächste Freibad-Saison kommt bestimmt … Bis dahin können wir den (vom Freiburger Frauenbad inspirierten) neuen Doris-Dörrie-Film „Freibad“ wärmstens empfehlen 🙂
das Blog-Team
Auf die nächste Freibad-Saison freue ich mich schon sehr;)
Alles Liebe
Leyla
Wir uns auch, liebe Leyla! Besonders an solchen grauen Wintertagen … Noch genau 150 Tage sind’s ab heute bis zu Öffnung (falls die am 1. Mai stattfindet)!
Schöne Grüße
vom Blog-Team