Mein nachhaltiger (?!) Kleiderschrank

Vom Firmen-Shirt zum Kleidertausch

Alles begann mit einem grünen Shirt

Eine überraschende Begegnung war das neulich auf der Kleidertausch-Party: Da fiel mir doch im Klamottenchaos tatsächlich eines unserer Stadtwerke-Shirts in die Hände! Eines von Hunderten grünen T-Shirts mit dem Aufdruck „MITWIRKER“, die wir bei unserem alljährlichen Spendenlauf verteilen. Das gab mir zu denken. Zumal wir bei den swt vor dem letzten Spendenlauf heftig darüber diskutiert hatten, wie sinnvoll es ist, weiterhin Shirts an alle auszugeben.

Der Abschied vom Event-Shirt

Bisher bekamen jede Läuferin und jeder Läufer ein kostenloses Shirt als Dankeschön. Schon 14-mal insgesamt. Da wir auch bei unseren Werbeartikeln nachhaltig sein wollen, standen wir Jahr für Jahr vor neuen Herausforderungen: Denn wir wollten die Shirts in Europa produzieren lassen. Für die Türkei hatten wir vorübergehend eine Ausnahme gemacht.

Schließlich ist es für uns das Größte, wenn sich Hunderte „Mitwirker“ mit uns identifizieren und unser Shirt auch in der Freizeit gerne tragen.

Von den knapp 90.000 Tübingerinnen und Tübingern hat vermutlich jede:r zehnte inzwischen ein solches Shirt zuhause – vielleicht sogar drei oder vier? Die Shirts haben sich über die Jahre hinweg nicht verändert. Ganz anders: die Kosten. Die haben sich von 2023 auf 2024 glatt verdoppelt. Das hat uns dazu veranlasst, die Situation realistisch zu betrachten: Brauchen die Tübinger noch mehr grüne Shirts im Schrank? Sind diese Ausgaben gerechtfertigt? Hauen wir die Shirts wie gewohnt raus, nur weil sie auf unseren Fotos großartig aussehen? Die klare Antwort im Orga-Team war: Nein, wir hören damit auf. Shirts gibt es nur noch für Helferinnen und Helfer sowie fürs eigene Lauf-Team.

Wer bereits ein Shirt hat, kann es schließlich jedes Jahr zum Lauf wieder anziehen oder weitergeben. Wir möchten ja nicht die Wegwerf-Mentalität fördern. Tatsächlich wurde es im Juni 2024 dann auch kaum vermisst. Gut so. Denn wir haben doch alle viel zu viel im Schrank – oder nicht?

Realitätscheck: So sieht unser Kleiderkonsum wirklich aus

Und damit kommen wir zu den Fakten: In Deutschland kauft jeder im Schnitt 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr. Davon werden wohl 40 Prozent nie oder nur selten getragen.

Immer mehr Modeketten werben mit Nachhaltigkeit, mit fairen Arbeitsbedingungen und umweltfreundlichen Stoffen, nehmen bisweilen gebrauchte Kleidung zurück. Nicht selten sind das leere Versprechungen. Und weiterhin fluten Unmengen von Ramschware die Läden und Onlinehops. Ein Party-Top wird im Schnitt sogar nur 1,7-mal getragen, hat Greenpeace recherchiert. Billige Schnäppchen landen unverkauft oft auf den Müll oder werden gar verbrannt. Gegen diesen Skandal will eine neue EU-Ökodesgin-Verordnung jetzt vorgehen. Gut so. Die Anzahl der Kleidungsstücke, die wir im Schnitt besitzen, ist immerhin etwas zurückgegangen: 2022 besaßen Frauen (ohne Unterwäsche, Stümpfe und Strumpfhosen) rein statistisch noch 107 Teile (2015 waren es 118), Männer 68. (Ganz ehrlich: Der Bestand meines Kleiderschranks sprengt den Durchschnitt um ein Vielfaches.)

Erfreulich ist, dass Greenpeace ein wachsendes Bewusstsein für einen nachhaltigeren Umgang mit Mode bestätigt. Das lässt mich bei all den schrecklichen News zu Fast Fashion wieder aufatmen. Die Erkenntnis verbreitet sich, dass man auch mit Kleidung das Klima schützen kann. Ich sehe dies als Hoffnungsschimmer, denn es gibt so viele gute und auch einfache Ideen, vernünftig mit Kleidung umzugehen, ohne dem schnellen Konsumrausch zu verfallen. Drei Auswege aus der Misere heißen Qualität, Secondhand Shoppen und Weitergeben.

1 Qualität kaufen: Hochwertige Arbeitskleidung bei uns

Los geht’s mit der Nummer eins, der Qualität. Darauf setzen die Stadtwerke. Sie geben viel Kleidung aus: Von rund 530 Kolleginnen und Kollegen tragen 320 täglich Arbeitskleidung, etwa die Hälfte von ihnen spezielle Schutzkleidung, beispielsweise für Arbeiten im Stromnetz. Aber auch als Beckenaufsicht im Freibad, als Reinigungskraft oder in der Grünpflege wird man ausgestattet. Hinzu kommen rund 100 Busfahrerinnen und Busfahrer beim swt-Verkehrsbetrieb. Unser Einkauf setzt auf Qualität von Trigema aus Burladingen und einen Spezialausrüster aus den Niederlanden.

Karina Galts

Karina Galts, die sich um die Bestellung und Ausgabe der Dienstkleidung kümmert, hat fast täglich jemanden zur Anprobe da. „Wer billig kauft, kauft zweimal, heißt es. Und das kommt für uns nicht in Frage. Es geht nichts über die Sicherheit und hochwertige Ausstattung des Teams“, sagt sie. Für mich steckt da sehr viel Wertschätzung drin. Auch ich besitze swt-Kleidung für meine Event-Einsätze, vom Polo-Shirt bis zur Regenjacke. Am Tag der offenen Tür im Juni haben wir alle fair produzierte T-Shirts getragen. Wir leihen uns die Sachen auch gegenseitig aus.

Auch Karina handhabt das so. Scheidet jemand aus dem Unternehmen aus oder entsorgt seine alte Kleidung, schaut sie sich genau an, ob nicht vielleicht noch ein anderer Kollege oder Ferienjobber etwas davon nutzen kann.

Wie wäre es eigentlich für mich im Marketing, jeden Tag in Arbeitskleidung ins Büro zu gehen? frage ich mich. Hätte ich dann weniger Sachen zuhause im Schrank? Ganz sicher wäre es morgens eine Zeitersparnis. Gute Qualität und Langlebigkeit sind auch für mich überzeugende Kauf-Argumente. Noch besser gefällt mir das Weitergeben: Secondhand-Mode und Kleidertausch sind im Trend.

2 Vorbildliche Projekte beim swt-Umweltpreis

Weiter geht’s mit dem Thema Secondhand. Beim swt-Umweltpreis gibt es immer wieder Bewerber-Projekte, die uns zeigen, wie Tauschen, Weitergeben und sogar Vermieten von Kleidung funktionieren können. Allein 2023 hatten sich drei herausragende Projekte damit befasst, von denen ich euch berichten will:

Im Güterbahnhof-Areal findet man den Laden von Anette Krug: Im „ani-lo“ berät sie rund um Brautkleider, die ihre Kundinnen bei ihr mieten können. Ein nachhaltiges Geschäftsmodell für den schönsten Tag des Lebens! „Ein Brautkleid, das mit so viel Liebe, Aufwand und vor allem Ressourcen hergestellt wurde, sollte nicht nur einmal getragen werden und dann im Schrank verschwinden“, so Anette Krug. Ein Kleid zu mieten, senkt Kosten, Energie und Materialverbrauch maximal. (Ich wünschte, ich hätte das vor mehr als vier Jahren schon gewusst: Bei mir hängt ein ungetragenes Brautkleid zuhause. Die Feier fiel wegen des Lockdowns aus).

Brautkleid-Vermietung ani-lo

Den 13. Preis beim swt-Umweltpreis 2023 gewann die Kita Wiesenstraße in Renningen für ihr Tauschen-statt-Kaufen-Konzept. Sie hatte dafür ein Tausch-Häuschen für Kinderkleidung angeschafft. Nach dem Motto: „Bring etwas, dass dein Kind nicht mehr braucht. Hol dir, was dein Kind braucht.“ Die Leiterin Özlem Yilmaz sagt dazu, es gehe darum, gemeinsam Alternativen zum Neukauf zu entdecken. „Das Kind von heute hat damit die Möglichkeit zum wertschätzenden, umweltbewussten Erwachsenen von morgen zu werden.“ Wie ich von meinen Nachbarn mit Kindern mitbekomme, funktioniert das auch bei vielen Kitas hier im Landkreis sehr gut. Am Wochenende werden öfters Flohmärkte für Kindersachen organisiert. Ein Segen für die Eltern!

Der BUND aus Böblingen/Sindelfingen hatte eine ähnliche Idee beim swt-Umweltpreis eingereicht: das „Koscht-Nix-Häusle“, eine Tauschbörse, zugänglich rund um die Uhr. Kürzlich berichtete die Zeitung allerdings von einer vorübergehenden Schließung, weil das Häusle überstrapaziert und leider regelmäßig vermüllt war. Aber der BUND macht weiter: Für gut erhaltene Kleidungsstücke kam jetzt eine „offene Kleiderstange“ beim örtlichen Umweltzentrum dazu.

Zum Thema Müll will ich ergänzen: Um getragene Klamotten loszuwerden, sind Kleidercontainer keine so gute Idee. Die Aufsteller liefern nach Afrika, in gigantischem Ausmaß landet Aussortiertes auch dort auf Mülldeponien. Wenn, dann nutzt die Container von karitativen Einrichtungen, die verantwortlich mit Textilexporten umgehen oder gebt Sachen direkt bei der örtlichen Kleiderkammer ab.

3 Kleidertausch, leicht gemacht

Und jetzt zum Ausweg Nummer drei, dem Weitergeben. Erinnert ihr euch an das grüne MITWIRKER-Shirt im Klamottenhaufen? Kleidertausch-Aktionen wie die anfangs erwähnte gibt es immer öfter. Um meinen Schrank nachhaltiger auszustatten, ist das direkte Weitergeben und Tauschen perfekt. Für mich das beste Rezept gegen Fast Fashion. Vielleicht kann ich euch ja dazu inspirieren?

Mich hat vor zwei Jahren eine ehemalige Kollegin „angesteckt“, die das als Berliner Großstadtkind von daheim kannte, und zum Kleidertausch in ihre Ein-Zimmer-Wohnung eingeladen hatte. Neben Snacks, Drinks und Musik wurden die von allen mitgebrachten Kleidungsstücke sortiert und ausgelegt, dann begann das muntere Anprobieren und gegenseitige Begutachten. In der Zwischenzeit habe ich mit Freundinnen und Nachbarinnen, die eine ähnliche Größe tragen wie ich, selbst solche Partys organisiert – mit Kaffee- und Kuchenbuffet in der Küche, Umkleide im Schlafzimmer und mehreren Wäscheständern im Wohnzimmer. Ich habe dabei ein paar neue Schätze gefunden und kann sagen: Es war auf jeden Fall sehr lustig, die Freundinnen plötzlich in den eigenen Sachen zu sehen!

Wer den Aufwand scheut, kann auch einfach zu den organisierten Angeboten in Tübingen kommen. Das Umweltzentrum Tübingen veranstaltet mehrmals im Jahr einen Kleidertausch, ebenso die Jakobus-Gemeinde. Das angesagte Südhang-Café lädt im Sommer sogar monatlich auf den Jakobus-Kirchplatz ein, um open-air zu tauschen. Mehrere Stadtteilfeste hatten es schon im Programm. Warum hier jedoch kaum Männer-Klamotten zu finden sind, bleibt ein Mysterium für mich. Tragen Männer die Teile so lange, bis sie vom Leibe fallen?

Siehe da: Auch hier taucht ein Sport-Shirt mit swt-Logo auf! Und dann zeige ich euch noch mein verrücktestes Tausch-Objekt: den Karotten-Falten-Rock, ein wirklich ausgefallenes Stück, das ich noch nicht gewagt habe, im Büro zu tragen.

Für alle unter euch, die gerne noch ein Schippe drauflegen möchten, hier eine …

Also allein mit euren Beständen oder mit Secondhand-Mode auszukommen? Ich habe das vor einigen Jahren tatsächlich gemacht (Unterwäsche ausgenommen) und mir danach zur „Belohnung“ eine sehr schöne (und nachhaltige) neue Jacke gegönnt.

Hoffentlich mehr als ein Trend

Es ist spannend, zu beobachten, wie in meinem Umfeld das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum wächst – ein Schritt in die richtige Richtung. Immer mehr Freundinnen und Freunde aus meiner Generation (35+) legen Wert auf nachhaltige Kleidung. Die Älteren (Ü60) aus meinem Familien- und Bekanntenkreis sind teils skeptisch, teils auch offen für Secondhand. Die einen kaufen weniger, dafür Qualität, tragen ihre Sachen Jahrzehnte lang (können auch mal was reparieren) und gehen schon mal ins Secondhand-Geschäft. Die anderen statten sich gerne mit der aktuellen Mode aus und gehen in ihrer Freizeit „zum Bummeln“. Ich hoffe sehr, dass auch bei den Teenies, die vermutlich am anfälligsten für Ultra-Fast-Fashion sind, auch ein Umdenken einsetzt.

Was die Stadtwerke betrifft: Wir haben schon ein Büchertauschregal, einen „Marktplatz“ im Intranet – vielleicht tauschen wir in Zukunft auch mal Kleider?! Unser Spendenlauf im Juni war jedenfalls auch ohne swt-Shirt ein voller Erfolg. Und jetzt bin ich gespannt, welche innovativen und kreativen Ideen zum nachhaltigen Konsum dieses Jahr beim swt-Umweltpreis eingereicht und prämiert werden!

Autorin Kathi in ihrer gelben Belohnungs-Jacke

Benutzte Quellen und Links zum Weiterlesen:
Einkaufsführer des Umweltbundesamtes
Das Umweltministerium BUMV
Statista
Der Blog Fashion United
Greenpeace

Soziale Kleiderläden im Landkreis

2 Gedanken zu „Mein nachhaltiger (?!) Kleiderschrank“

  1. Liebe Kathi,
    ein toller Beitrag ist das! 😊 Über unseren Klamotten-Konsum lohnt es sich tatsächlich nachzudenken.
    Mich beschäftigt jetzt zum Saisonwechsel mal wieder das Ausmisten meines Kleiderschranks – und da hab ich festgestellt, das ich nicht gerade der Typ „Shopping Queen“ bin, sondern eindeutig zu denen „Aufheberinnen“ gehöre. Viele Klamotten hab ich schon ewig. Und manche ziehe ich nach Jahrzehnten sogar noch an. Mein ältestes Teil im Schrank ist ein schwarzer wollener Rollkragenpullover, den ich 1988 (stell dir vor!!!) in Paris gekauft habe. Und den ich immer mal wieder trage. Ein Lieblingsteil ist eine Lederjacke, die mir mal meine Schwester vermacht hat. Auch einen Secondhand-Trenchcoat von Momox liebe ich sehr. Ich war eine Zeitlang eifrige Kundin und Mitwirkende bei vielen Kindersachen-Flohmärkten (ganz prima – vor allem als Einzelkind-Mama) …

    … und doch werde ich manchmal gerade bei Schnäppchen-Angeboten zu schnell schwach und hab TOTAL überflüssige oder für mich ganz verkehrte Teile angesammelt 😉 – da ist es gut, sich diese spannenden Hintergründe immer mal wieder bewusst zu machen.

    Merci für den Anstoß und schöne Grüße
    Birgit

    1. Liebe Birgit,
      vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Klasse, dass du uns von deinen Lieblingsteilen berichtet hast. Da komme ich direkt ins Grübeln, was wohl mein ältestes Teil im Kleiderschrank ist. Vermutlich ein Strickjacken-Erbstück, das meine Mutter noch vor meiner Geburt mal für sich angefertigt hatte.
      Zu deinen „verkehrten“ Teilen kann ich nur sagen: wenn dir Flohmarkt, Secondhand-Geschäfte oder Onlineplattformen zu aufwändig sind, dann nimm sie doch direkt zum nächsten Kleidertausch mit! Da gibt es bestimmt Abnehmerinnen, die sich darüber freuen.

      Viele Grüße
      Kathi

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