Wer vom Französischen Viertel in Richtung Hornbach unterwegs ist, hat ihn bestimmt schon gesehen: den Solarpark Traufwiesen mit seinen blauschimmernden Flächen an der B 27. Er ist der größte der Stadtwerke in Tübingen. Was auf den ersten Blick wie reine Technik wirkt, ist auf den zweiten auch ein spannendes Ökoprojekt. Denn zwischen Solarmodulen, Wechselrichter und Trafos passiert hier viel mehr, als man denkt. Begleite Kathi und Tim auf ihrer Entdeckungstour!
— Hier folgt demnächst auch eine Podcast-Version zum Anhören!

Heute gibt’s von mir einen Tipp für die radelnden Ökos unter euch, für Ökostrom-Kundinnen und -Kunden, für Balkonkraftwerk-Besitzer und Hobby-Gärtner. Schwingt euch aufs Rad und folgt meinem kleinen Ausflug!
Der führt uns aus der Stadt hinaus, durchs Französische Viertel und auf den Feldweg, der beim Tübinger Tierheim in Richtung Hornbach verläuft. Hier stehen entlang der B 27 viele neue, blauschimmernde Solarmodule. Wo früher Felder oder einfach nur Brachland lagen, ernten die Stadtwerke jetzt Sonnenstrom: 2022 wurden die sogenannten Lustnauer Ohren mit Photovoltaikmodulen bestückt – „Ohren“ heißen die runden Flächen innerhalb der Auf- und Abfahrten der Bundesstraße. Und direkt daneben ging im Juni 2024 der Solarpark „Traufwiesen“ ans Netz, die aktuell größte Freiflächenanlage der Region.



Auf zur Radtour der Artenvielfalt!
Klar, Solarstrom ist wichtig und allein diese Anlage versorgt über 2.000 Vier-Personen Haushalte – aber heute geht’s mir um das, was zwischen den Modulen und um sie herum passiert. Mal ehrlich: Wer denkt beim Anblick einer Solaranlage schon an Artenvielfalt? Viele vermuten hier doch vor allem Technik, Kabel, Metallpfosten und, na ja, viel toten Raum oder Unkraut darunter. Oder reden gar von Flächenversiegelung – was nicht stimmt. Und genau das ist spannend: Unter und zwischen den Modulen spielt sich mehr ab, als man auf den ersten Blick vermutet. Denn die Flächen sind keineswegs öde, vertrocknet oder ungenutzt – im Gegenteil!
Die Stadtwerke Tübingen, die ja viele Solarparks bundesweit betreiben, machen sich seit Jahren Gedanken darüber, wie sie diese Areale ökologisch aufwerten können. Und sie investieren freiwillig in Konzepte, die Insekten, Vögeln, kleinen Säugetieren oder Reptilien einen neuen Lebensraum schaffen. Das ist mehr als ein schöner Nebeneffekt – das ist genauso gewollt. Eine aktuelle Studie des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft e. V. (bne) zur Artenvielfalt vom April 2025 liefert die dazu passende wissenschaftliche Basis. Dazu kommen wir später nochmal, jetzt schaue ich mich erstmal um.




Wie bringt man Artenvielfalt unter die Solarmodule?
Das lasse ich mir von Tim Schneider erklären, Projektmanager bei den Stadtwerken und Kollege aus der Abteilung Erneuerbare Energien. Gemeinsam schwingen wir uns aufs Rad und fahren in die „Traufwiesen“. Tim zeigt mir, dass die Flächen unter den Modulen nicht versiegelt sind. Das bedeutet, hier kann richtig was wachsen – Gräser, Wildblumen und damit ein echtes Buffet für Wildbienen, Schmetterlinge und andere Insekten. Gedüngt wird hier nicht, gespritzt sowieso nicht, und der Rasenmäher wird auch nicht benötigt. Warum das so wichtig ist, verrate ich noch – aber so viel sei gesagt: Hier brummt‘s und summt’s aus gutem Grund.

Pilze unterm Sonnendach? Ja, vielleicht …
Kaum sind wir am Tierheim abgebogen, kommen wir nach einer kleinen Unterführung schon an ein „Auffahrtsohr“, das einen Teil der PV-Anlagen trägt. Der größere Teil folgt gleich darauf entlang der Bundesstraße. „Weiter oben, in Richtung Hornbach, soll in unserer Anlage etwas Besonderes entstehen“, sagt Tim. „Unter den Solarpanels wachsen hoffentlich bald edle Speisepilze.“

Ein Start-up aus Stuttgart, Kleinblatt GmbH, hatte mit dieser Idee bei einem Wettbewerb der Stadt und Stadtwerke gewonnen. Seit letztem Sommer hat Kleinblatt daher mit einer Pilzzucht unter der Nachbar-PV-Anlage auf den Lustnauer Ohren experimentiert. Das Ganze nennt sich Agri-Photovoltaik – die Fläche wird also doppelt genutzt: oben Strom, unten Landwirtschaft. Wenn das klappt, wäre es ein echter Gewinn für alle. Ich frage Tim natürlich sofort: „Schon mal Solarpilze probiert?“ Er winkt ab, die erste Ernte lässt noch auf sich warten, denn für die Pilzanzucht im großen Stil gibt es leider noch diverse Hürden bei Kleinblatt. Zusätzlich führen die swt aktuell Gespräche mit dem „Genbänkle“ aus Nürtingen (Netzwerk zur Förderung der Kulturpflanzenvielfalt in Baden-Württemberg e.V.) über eine mögliche Buschbohnenzucht.
Für wen der Zaun keine Barriere ist
Wir radeln weiter und folgen der langgezogenen PV-Anlage, passieren Reihe um Reihe der Module, die alle eingezäunt sind – zum Schutz der Technik und zur Sicherheit von Mensch und Tier. Erst auf den zweiten Blick fällt mir auf: Unter dem Maschendrahtzaun bleibt ein Abstand zum Boden. Tim erklärt mir, dass Feldhasen, Igel, Mäusle und sogar junge Füchse hier durchschlüpfen können – das sei ein wichtiger Beitrag zur Naturverträglichkeit der Anlage. Dann endet der Zaun, eine etwa acht Meter breite Schneise durchteilt die Modulreihen, ein Blühstreifen füllt den Zaunbereich aus. Schon im April sprießen hier die Pflanzen – jetzt im Juni steht alles prächtig in Blüte! Tim erzählt mir, dass der Blühstreifen eine der Ausgleichsmaßnahmen ist, die für diesen Solarpark baurechtlich vorgeschrieben waren.




Wilder geht’s nicht: ein Konzept, das aufblüht
Das klingt doch schon mal gut! Ob freiwillig gesät oder nicht, ich bin ein großer Fan von wilden und bunten Blühwiesen. Aber war’s das jetzt schon in Sachen Ökologie? Natürlich nicht! Tim erklärt mir, dass hinter der Gestaltung der Solarparks ein richtig durchdachtes Umweltkonzept steckt. Ein Biologe berät unser Team dabei, denn es geht darum, die Vorlieben der Insekten, Kleintiere und Pflanzen am Standort zu kennen, um sie richtig zu unterstützen. Ziel ist es sogar, bedrohte Arten zu schützen. Natürlich darf dabei nur regionales und zertifiziertes Saatgut verwendet werden. Blühstreifen, Zaunhöhen – was gehört noch alles dazu? Ich bin neugierig und Tim zeigt mir, was ich auf meiner Fahrt einfach übersehen habe.
Vogel-WG im Solarpark
Fangen wir mit den Luftakrobaten an: Am Zaun entlang wurde eine Hecke angelegt, die bietet später gute Bedingungen für die Vogelbrut. An den Modulen verteilt hängen Nistkästen – alle vier bis fünf Reihen entdecke ich einen. Ziel ist es, Meisenarten, Feldsperrlinge und Gartenrotschwänze anzulocken. Und das Beste: Die Nistkästen werden von uns regelmäßig kontrolliert und gereinigt, damit dann auch alles passt für die Vögel. Ich hoffe, sie beziehen auch bald ihr schönes Zuhause – mit Nachwuchs! Die schon erwähnte bne-Studie hat ziemlich beeindruckende Zahlen geliefert: 32 Brutvogelarten und sogar 64 Arten Zugvögel wurden in den in Deutschland untersuchten Solarparks gesichtet.

Und was flattert da in der Nacht?
Und das ist noch nicht alles: Fledermäuse sind die echten Turbo-Siedler – kaum ist so ein Park gebaut, schon kreisen sie laut bne-Studie durch die Nachtluft. Unsere Anlage hier steht nun seit rund einem Jahr – vielleicht sollte ich mal abends vorbeiradeln und schauen, ob ich hier ein paar dieser eleganten Insektenjäger bei ihrer nächtlichen Flugshow erwische. Tim meint dazu, dass die Module selbst nicht der Magnet für die Fledermäuse seien, vielmehr das erhöhte Insektenvorkommen, das wiederum durch die Blühwiesen entsteht.
Krabbeln erwünscht: Wie der Solarpark zum Naturhotel wird
Weiter geht es mit etwas, das meinen Puls kurz mal hochtreibt: Acht Beine, flink unterwegs, meist unscheinbar – genau, es geht um Spinnen! Ob wir wohl eine zu Gesicht bekommen? Tim beruhigt mich gleich – sie sind zwar klein, aber als Schädlingsbekämpfer enorm wichtig fürs Ökosystem. Und für diese und andere nützlichen Tierchen wurde richtig aufgerüstet: Unser Solarpark hat spezielle Lebensräume für Spinnen, Wildbienen, Eidechsen & Co. bekommen. Der Experte spricht dabei von „Sandarien“ und Steinriegeln – Begriffe, die ich noch nie gehört habe.


Dafür wurde nochmal gegraben, etwa 30 bis 40 Zentimeter tief Erde abgetragen, dann an mehreren Stellen insgesamt 10 Tonnen Steine und 18 Tonnen Sand verteilt. Oben drauf und daneben: große und kleine Holzstämme, dicke Äste, alles liebevoll zusammengeschichtet und auf einer Seite mit Erde angeschüttet. All diese „Haufen“ sind nierenförmig angelegt, damit möglichst viel Sonne reinkommt und die Wärme sich gut staut – ein echtes Solarium für Spinnentiere, Insekten, Reptilien wie Eidechsen und natürlich Wildbienen.
Viel Leben im Totholzstapel
Das Totholz darf mit der Zeit morsch werden. Was für mich aussieht wie ein Haufen Gartenabfall, ist für viele Tiere Brutplatz, Schutzraum und Buffet in einem. An einer anderen Ecke des PV-Parks liegen ganze Holzstapel direkt neben der kleinen Trafostation, die dazu dient, den Solarstrom von Nieder- in Mittelspannung umzuwandeln. Auch hier: perfekte Bedingungen für die Eiablage und fleißiges Bohren und Knabbern.



Dazu fällt mir eine eigene Story ein: Weil wir in unserem Garten schlicht zu faul waren, das ganze Schnittgut aufwändig mit Leihwagen (Link zu anderem Artikel) und Hänger wegzufahren, hat mein Mann im März aus Haselnusszweigen und Obstbaumschnitt kurzerhand eine Totholzhecke gebastelt. Zwar ohne großes Konzept und Know-how, aber mit viel Liebe fürs Ökosystem. Mit Laub, Ästen und Lücken dazwischen wird dieser Unterschlupf bestimmt bald bezogen. Erste Knabberspuren konnte ich schon entdecken. Ihr seht, selbst einen kleinen Beitrag zu leisten, ist gar nicht schwer!
Erfahrung zahlt sich aus
Klappt das denn auch mit der Ansiedlung? Tim ist überzeugt: „Na klar! Das ist nicht das erste Mal, dass wir sowas machen.“ Sein Abteilungsleiter Julian Klett hat schon gute Erfahrungen mit Artenschutzmaßnahmen in Solarparks gemacht, mit Hecken, Blühstreifen und Biotopen. Von Anfang an mit dabei: der Diplom-Biologe Rainer Blum, unser Berater in diesen Dingen und selbst engagierter Naturschützer. Im Solarpark Engstingen-Haid ging der gemeinsame Plan auf, 2021 gab‘s Lob und Anerkennung vom NABU dafür. Die aktuelle bne-Studie bekräftigt den Mehrwert gut geplanter Solarparks.


Wenn’s blökt zwischen den Paneelen: Die Schafe sind wieder da
Während wir plaudernd weiterrollen, erreichen wir das Ende der Traufwiesen. Und wer schaut da mit neugierigen Knopfaugen von der anderen Seite des Zauns zurück? Eine Herde genüsslich grasender Schafe! Sie gehören Stefan Mertin, einem swt-Kollegen aus dem Finanzbereich – und nebenbei Schäfer mit Herz und Verstand. Vor drei Jahren gewann er die Ausschreibung und bringt seitdem seine Moorschnucken hierher, eine alte, vom Aussterben bedrohte Rasse.


Lebendige Rasenmäher
Aber zurück zur Herde: Warum Schafe im Solarpark? Diese Frage beschäftigt nicht nur mich, sondern auch manche wissbegierige Schulklasse, die uns zur Besichtigung besucht. Die Antwort ist simpel – und genial: Die Tiere übernehmen ganz natürlich die Landschaftspflege. Keine Maschinen, kein Strom- oder Benzinverbrauch, kein Lärm, kein Steinschlag. Schafe halten die Vegetation niedrig, lockern den Boden mit ihren Hufen auf, verhindern Maulwurfshügel – und bringen durch ihr Fell sogar neue Pflanzenarten mit. Quasi Biodiversität im Wollmantel.

Unter den Modulen finden sie Schatten, Schutz vor Wind und Wetter – und die Mutterschafe einen Rückzugsort fürs Lammen. Sogar Mistkäfer und Fledermäuse (sie mögen die angelockten Insekten), freuen sich über die tierischen Hinterlassenschaften. Nur an die Bohnen des Genbänkles, die vielleicht bald Einzug halten, dürfen die Schafe dann nicht ran …
Kleiner Exkurs: Wenn ich nicht gerade arbeite, reise, gärtnere oder male, tobe ich mich handwerklich aus. Aus der von Stefans Schafen geschorenen Wolle habe ich schon Filzkissen gemacht. 😊






Gemeinsam radeln, staunen, verstehen
Und, habt ihr Lust bekommen, das alles mal selbst mit unserem Insider Tim zu erleben? Schließt euch in der „Nacht der Nachhaltigkeit“ am 4. Juli 2025 unserer Radtour in den Solarpark an! Wir freuen uns schon auf einen entspannten Sommerabend mit vielen Aha-Momenten in der Natur mit euch. Schreibt uns gerne in die Kommentare, ob ihr dabei sein wollt oder was euch an unserem Solarpark am besten gefällt!
Radtour zum Artenschutz am 4. Juli 2025
Bei der geführten Tour radeln wir gemeinsam zum Solarpark Traufwiesen. Es geht auch hinter den Zaun!
Treffpunkt: am Uhlanddenkmal um 17 Uhr und 19:30 Uhr
Dauer ca. 1,5 Stunden, Anmeldung ist nicht notwendig.
Wer unterwegs dazukommen möchte, kann uns ca. 20 Minuten nach Abfahrt am Tierheim treffen.
Mehr Infos unter umweltzentrum-tuebingen.de/nacht-der-nachhaltigkeit/
Quellen:
Veröffentlichung der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft: https://www.lfl.bayern.de/mam/cms07/publikationen/daten/informationen/beweidung-pv-anlagen-schafe_lfl-information.pdf Feldstudie des Bundesverband Neue Energiewirtschaft e.V. (bne) zur Artenvielfalt im Solarpark: https://sonne-sammeln.de/biodiversitaet/biodiversitaets-studie/#solarparks
Kathi war schon oft in Sachen Nachhaltigkeit unterwegs: Hier könnt ihr gleich weiterlesen!