Sie ist Klimaschützerin aus Überzeugung und hat ihre Passion zum Beruf gemacht. Desirée Salminkeit, Ingenieurin für Erneuerbare Energien arbeitet als Projektentwicklerin für die Stadtwerke. 2020 kam sie aus Berlin nach Tübingen. Sie erzählt uns von Sonnenstrom und Spätzle, vom Ankommen im Lockdown, vom Glück im Job und von einem zum Glück nur leichten Kulturschock.
Die Schwaben und die Berliner haben es oft nicht leicht miteinander – könnte man meinen. In der Hauptstadt sind „die Schwaben“ zum Stereotyp geworden für wohlhabende, aber spießige Zugezogene, die sich vorzugsweise im Prenzlauer Berg niederlassen und die Gentrifizierung vorantreiben. Das Gegenmodell der „Prenzl-Schwäbin“ ist Desirée: Die 30-Jährige zog von Berlin nach Tübingen. Ganz ohne Vorurteile. Und zwar schon vor der The-Länd-Kampagne, die Arbeitskräfte für Baden-Württemberg anwerben will. Vom Großstadtdschungel in die putzige schwäbische Unistadt. Um beim Klischee zu bleiben.
Für Desirée war das reiner Zufall, erzählt sie mir. Nach ihrem Studium in Berlin und Cottbus hatte sie sich in ganz Deutschland beworben, offen für alles, war auf die Stelle bei den swt gestoßen – und bekam prompt die Zusage. „Das war natürlich wahnsinnig attraktiv, so von der Uni weg zur Projektleitung!“, sagt sie. Seit November 2020 ist sie nun in Tübingen. Entwickelt und leitet den Bau von Solaranlagen und genießt den Schritt in die Praxis. „Das macht mir richtig Spaß, denn von Sonnen- und Windenergie bin ich aus tiefstem Herzen überzeugt!“ – und das nehme ich ihr voll ab, so wie sie strahlt bei diesem Statement.
„Von Sonnen- und Windenergie bin ich
aus tiefstem Herzen überzeugt!“
1.000 Dinge und ein großes Ziel
Als Projektentwicklerin muss sie alles im Blick haben, schnell und trotzdem sehr genau sein, an 1.000 Dinge gleichzeitig denken. Das ist anspruchsvoll. Aber das Organisieren liegt ihr. Auch privat ist sie meistens diejenige, die plant – ob Reisen oder Feste: auf Desirée ist Verlass. Konkret dreht sich ihr Alltag nun darum, Flächen für Solarparks zu sichern, Kauf- und Vertragsverhandlungen zu führen, schließlich die Anlagen zu planen. Sinn für wirtschaftliche Aspekte aber auch Kenntnisse in Elektronik sind gefragt. Verhandlungsgeschick ist wichtig. „Wir kommunizieren viel – mit Planern, Gemeinden, Bauämtern, Installateuren und Flächeneigentümern“, sagt sie. „Ich lerne sehr viel dabei und bin glücklich in meinem Team. Auf die Erfahrung der anderen kann ich mich verlassen, wir entscheiden meist gemeinsam, und meine Meinung spielt eine Rolle.“
Für uns scheint die Sonne in ganz Deutschland
Die Stadtwerke Tübingen erzeugen viel Ökostrom – bundesweit und ganz in der Nähe. So viel, dass sie schon 70 Prozent des Tübinger Bedarfs aus erneuerbaren Quellen decken können, bis 2024 sollen es 75 Prozent werden. Meistens werden die Solarparks fertig von Projektierern gekauft, wie kürzlich den bei Zernitz in Brandenburg, der noch im März ans Netz geht. Gerade ist Desirée am größten Solarpark der swt in Starzach beteiligt (16 Megawatt, Sonnenstrom für 4.000 Haushalte). Diesen entwickeln die Stadtwerke selbst, ebenso wie die erste Freiflächenanlage in Tübingen: Die entsteht beim Hornbach, in den Auffahrts-Kringeln zur B 27, den „Lustnauer Ohren“. So hübsch das klingt, so kompliziert war das Genehmigungsverfahren, das sich lange hinzog. Jetzt geht es mit voller Kraft voran. „Bei der aktuellen Marktlage bin ich froh, dass wir uns das Material früh gesichert haben“, meint Desirée und erklärt: „Das Besondere ist, dass wir hier eine Brachfläche nutzen und niemandem etwas wegnehmen. Entwickler denken oft in weit größeren Dimensionen und übersehen solche Möglichkeiten leicht. Die Anlage wird ein Megawatt bringen und rund 250 Tübinger Ökostromkunden versorgen – das ist absolut vorzeigbar.“ Desirée freut sich schon darauf, sie wachsen zu sehen und fährt öfter mal mit dem Rad vorbei.
„Typisch für meinen Job ist es, draußen zu sein. Oft stehe ich in Wanderschuhen oder Gummistiefeln auf Äckern und prüfe neue PV-Standorte.“ Wo könnte man noch Sonnenstrom ernten? Auf die Standortsuche in der Region bekommt ihr Team sehr positive Rückmeldungen. „Ich bin dankbar, dass die Menschen das Thema gut aufnehmen und kann die swt als fairen Partner auch guten Gewissens empfehlen“, sagt Desirée.
Und wie steht es mit dem Wind?
Rund um Berlin ist die Windkraft sehr viel präsenter als hier – und die Aufgeschlossenheit dafür größer, so Desirées Eindruck. Hier im Süden sei noch Aufklärungsarbeit zu leisten. So manches Vorurteil ist für sie „Mumpitz“. Das optische Argument etwa kann sie nicht nachvollziehen. Schönheit liege schließlich im Auge des Betrachters. Ist Braunkohle-Tagebau etwa schön? Und wie sieht sie den Konflikt mit dem Artenschutz? „Eigentlich wollen Naturschützer und wir doch dasselbe. Niemand hat etwas davon, wenn der Ausbau der Erneuerbaren nicht weiterkommt. Naturschutz und Windkraft funktionieren auch gemeinsam“, ist sie sich sicher. Für viele Vogelarten sei der Verkehr ein deutlich größeres Problem. Desirées Linie ist klar: „Wir sollten den Wandel positiv sehen, denn er sichert unsere Lebensqualität.“ Ihr würde es gefallen, wenn sich Windräder bei Tübingen drehen würden.
Frauennetzwerk und Bücherliebe
Sind Frauen eigentlich selten in ihrem Bereich, will ich wissen (das Frauen-und-Technik-Thema muss ja irgendwann kommen).„Nicht mehr“, sagt Desirée. „Im Studium waren wir zur Hälfte Frauen. Jetzt arbeite ich allerdings fast nur mit Männern zusammen, und in Meetings ist es schon vorgekommen, dass man mich für die Assistentin hielt. Als junge Projektleiterin muss man sich den Respekt halt erst verdienen“, sagt sie und grinst. Logisch, dass sie sich im Frauennetzwerk der swt engagiert.
Ingenieurin zu werden, war eine recht spontane Eingebung. „Ich war drauf und dran, einen ganz anderen Weg einzuschlagen, wollte als Vielleserin eigentlich etwas mit Büchern machen, Verlag oder so. Dann habe ich mich kurzerhand umentschieden und mich an der TU Berlin für Technischen Umweltschutz eingeschrieben. Das ist es, was ich will!“
Und sie lebt das konsequent: Besitzt kein Auto, fährt mit dem E-Bike zur Arbeit und ausschließlich mit dem Zug nach Berlin. „Aber dogmatisch bin ich nicht. Ich esse zwar wenig Fleisch, kann aber auch nicht widerstehen, wenn es etwas Leckeres in der Kantine gibt.“ Nur auf die legendäre Berliner Currywurst könne sie sehr gut verzichten. Und wie steht’s heute mit der Literatur? Ein Büchermensch ist sie immer noch – ihre aktuellen Lieblingstitel sprudeln nur so aus ihr raus: „Corpus Delicti“ (Juli Zehs erschreckend aktuell gewordene Dystopie einer Gesundheits-Diktatur), Ewald Arenz‘ „Der große Sommer“ über eine Jugend in den 1980er-Jahren, Elizabeth Kolberts Naturgeschichte „Das sechste Sterben“ und „Becoming“ von Michelle Obama – auch so eine inspirierende Power-Frau. „Sorry, weniger geht nicht.“
„The Länd“ und der Kulturschock
Was mich als ebenfalls „Neigschmeckte“ interessiert, ist das Ankommen der Berlinerin in der schwäbischen Provinz. Welch ein Kontrast: Da die bunte 3,7-Millionenstadt mit Kiez und Kunst und Kanzleramt, „arm, aber sexy“ – da (Achtung: Klischee-Alarm!) das Unistädtchen mit seiner „grünen Hölle“ und die sparsamen, schaffigen Häuslebauer. War das ein Kulturschock, aus der Großstadt hierher zu kommen? „Schon. Aber wer in Berlin mit seiner Vielfalt an Menschentypen und Milieus aufwächst, lernt ja, offen zu sein und hegt bestenfalls eher weniger Vorurteile (auch wenn manche Spaßmacher im Prenzlauer Berg Denkmäler mit Spätzle bewerfen). Das hat mir geholfen, als ich hergezogen bin“, so Desirée.
In Tübingen genießt sie die kurzen Wege und war überrascht, wie nett die Leute in den Behörden sind. Das Tempo sei gemächlicher. Und das Schwäbische eine echte Herausforderung! „Manchmal verstehe ich nur wenig, vor allem am Telefon. Doch allmählich wird das besser. Neulich ist mir zu Hause tatsächlich selbst ein schwäbischer Ausdruck herausgerutscht („Gschmäckle“) – und meine Mutter hat sich kaputtgelacht“, erzählt sie. Selbstverständlich kann sie berlinern („na aber und ob!“). Das komme gleich wieder durch, sobald sie eine Weile in Berlin sei.
Die Verbundenheit der Menschen mit Stadt und Region komme ihr hier außergewöhnlich stark vor. Und vielleicht sei das Weltbild dadurch ein wenig enger. Nur ein vorsichtiger erster Eindruck, versteht sich. Entschieden furchtbar findet sie die schwäbische Kehrwoche: „Vor allem im Winter. Warum schafft man das denn nicht ab?“ Und was sie ehrlich erstaune, sei die Vernarrtheit in Spätzle. „Die sind schon in Ordnung, aber diesen Spätzlekult kann ich echt nicht nachvollziehen.“ Und erzählt dann von den zwei schwäbischen Studentinnen ihrer Cottbusser WG, die ganz aus dem Häuschen waren, als sie die Stelle in Tübingen bekam und gleich anfingen, Spätzle zu schaben, um sie ans „Schwabenleben“ zu gewöhnen.
Das begann mitten im Lockdown, im November 2020. Da Desirée niemanden kannte, suchte sie sich erst einmal ein WG-Zimmer. Bei den swt mit ihren strengen Corona-Beschränkungen waren Kontakte außerhalb des Teams in den ersten Monaten kaum möglich. Ihre Rettung war der Betriebssport, Volleyball und Bogenschießen. Tübingen hat sie im Grunde noch gar nicht richtig kennenlernen können – mit seinem kulturellen Leben und all seinen Festen. „Toll ist aber, dass man ganz in der Nähe in wahnsinnig schöner Umgebung wandern kann, das genieße ich sehr“, so Desirée, die als Stadtkind jetzt erst so richtig wandern lernt. Was sie hier am meisten vermisst, sind übrigens Strecken ohne Höhenmeter.
Herzlichen Dank für diesen – durchaus auch sehr persönlichen – Einblick. Nachdem mein Bruder vor über 30 Jahren den umgekehrten Weg gegangen ist (er ist nun also „Prenzl-Schwabe“ in Berlin) ist diese Erfahrung der „Einbürgerung“ spannend zu lesen. Viel Erfolg auch bei der Arbeit!
Lieber Herr Kötzle,
Ihre guten Wünsche gebe ich sehr gern an Desirée weiter!
Ich kann das selbst gut nachempfinden: Als ich vor 19 Jahren als Mainzerin nach Tübingen kam, machte mich das Schwäbische auch oft ratlos (auch wenn ich von meiner badischen Cousine schon wusste, dass die „Füße“ bis zur Hüfte reichen): eine Wohnung mit „Bühne“, „Seelen“ beim Bäcker, „Rote und Saiten“ in der swt-Kantine – was ist das??? Kleine und große Kehrwoche wurden sehr ernst genommen von den Nachbarn meiner ersten Wohnung – und ich kenne das befriedigende Gefühl, das Kehrwochenschild nach pflichtgemäßer Erledigung an den Nagel neben der nächsten Tür zu hängen. Obwohl die Rheinhessen ja als sehr gesellig gelten, ist der Umgangston dort doch oft eher unfreundlich-motzig – und so haben mich die Offenheit und Freundlichkeit der Menschen hier wirklich überrascht. „Was sich bewegt, wird gegrüßt, was sich nicht bewegt, wird geputzt“ – an dem Spruch über die Schwaben steckt ist schon was dran, meine ich. In der immer vielfältigeren Stadtwerke-Familie kann man sich jedenfalls sehr wohl fühlen.
Ihre Wahltübingerin Birgit Krämer