Es ist ein bisschen wie Bundesliga: Experte ist, wer vom Spielfeldrand zuschaut. Oder beim Thema Verkehrsplanung: Wer mitfährt, hat recht. Kennt jeder, ist menschlich und nachvollziehbar. Aber wie entsteht überhaupt ein Fahrplan? Wie planen wir eine einzelne Linie, eine Fahrt von A nach B? Soviel sei verraten: Es ist ein Prozess…
Ein leeres Blatt
Mal angenommen, wir bauen eine neue Stadt und brauchen einen funktionierenden ÖPNV dazu. Der Verkehrsplaner bekommt glänzende Augen und schlägt eine neue Seite im Block auf: Wo leben die Menschen? Wo arbeiten sie? Wann stehen sie auf, fahren zur Arbeit, zur Schule und zum Einkaufen? Wir würden die Strecken in den neuen Stadtplan einzeichnen und schauen, wo sie sich überschneiden und wann die meisten Überschneidungen sind. Dann würden wir den Fahrplan – mit den notwendigen, gerne auch monströsen Finanzmitteln im Hintergrund – so planen, dass möglichst viele Menschen zur richtigen Uhrzeit bequem von A nach B kommen. Das ist Theorie. Und in der Praxis?
Immer mal wieder ein bisschen besser
In der Praxis existiert – wie in Tübingen bereits seit bald 3 Jahrzehnten – ein Busnetz mit festen Linien und Streckenverläufen. Das hat erstmal einen hohen Wert: Verlässlichkeit, Orientierung, Beständigkeit. Werte, die beispielsweise ein Pendler auf dem Weg zur Arbeit prinzipiell schätzt. Für den Verkehrsplaner heißt das: Wenn Bedarf ist, wird so ein vorhandenes Netz nachgesteuert, also verbessert. Das geschieht zum Beispiel dann, wenn ein neues Quartier entsteht. In Tübingen ist das ja bekanntermaßen häufig und in rasanter Geschwindigkeit vorgekommen – man denke nur an Lorettoviertel, Mühlenviertel, Alte Weberei oder ganz aktuell Güterbahnhof.
Zum Beispiel die „Alte Weberei“ in Tübingen
Ein neues Viertel entsteht, nahe am Wohnbestand aber doch so groß, dass der Verkehrsplaner ans Reisbrett muss. Es stellt sich dann die Frage: Wie lässt sich der Mobilitätsbedarf mit dem bestehenden Netz abdecken? Brauchen wir eine neue Linie? Haltestellen, klar, die sind Teil der städtebaulichen Planung. Wie lassen sich zusätzliche Strecken in vorhandene Linien integrieren? Das ist dann wirkliche strategische Planungsarbeit! Sind Antworten gefunden, folgt die operative Planung, also die Fahrplanung.
Und dann kommt der Fahrplan
Die Verkehrsplaner haben schon einige Monate vor Bezug der „Alten Weberei“ den Bedarf ermittelt. Bravo! Jetzt folgt die operative Fahrplanung. Dazu wird festgelegt, welche Takte wir in welchem Zeitraum fahren werden. Ganz wichtig ist dabei die sogenannte Fahrplanlage, also die genauen Abfahrtszeiten der Busse an einem ganz bestimmten Punkt. Diese entscheiden darüber, ob Linien, die sich ergänzen auch tatsächlich zusammenpassen und ob Anschlüsse funktionieren. Ein Beispiel: In Richtung Lustnau ergänzen sich die Linien 1 und 7. Deshalb ist die Fahrplanlage, also die Abfahrtszeit beider Linien am Busbahnhof so gewählt, dass die Fahrtenfolge stimmt: 1 und 7 sollen nicht im Pulk fahren, sondern in einem möglichst gleichmäßigen Takt. Überhaupt bestehen jede Menge Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Linien. Wird eine davon verändert, hat das immer Auswirkungen auf eine andere. Wird an einer Stelle verbessert, kann das schon mal eine Verschlechterung an anderer Stelle bedeuten – und bringt gleichzeitig Freude auf der einen und Ärger auf der anderen Seite mit sich.
Schon wieder Verspätung!
Planen heißt auch Hellsehen – zumindest wäre diese Fähigkeit manchmal von Vorteil. Da wir aber leider keine swt-eigenen Hellseher beschäftigen, heißt das Zauberwort Fahrzeitplanung. Die Festlegung, wie lange ein TüBus beispielsweise vom Busbahnhof in die Südstadt braucht, ist ganz entscheidend für die Pünktlichkeit. Nun ist jedem klar: Zur Rushhour kann die Fahrt schon mal etwas länger dauern, die Pünktlichkeit leidet. Eine Baustelle auf der Strecke? Wieder Verspätung. Damit uns keine Verspätung – jedenfalls keine strukturelle – durchrutscht, betreiben wir engmaschiges Monitoring. So spüren wir regelmäßige Verspätungen auf. Was also tun? Erstmal herausfinden woran es liegt. Dann geht’s an die Fehlerbehebung.
Ein Beispiel: Linie 7, Fluch und Segen
Die Linie 7 hatte ein kleines (bis mittelgroßes) Pünktlichkeitsproblemchen. Wir hatten festgestellt: Die Pufferzeit, also die Zeit, die am Wendepunkt als Bonus zur Verfügung stand, reichte nicht aus, weil der Bus eine Schleife fahren muss. Zudem führte die Strecke der Linie 7 in Richtung Südstadt durch das Nadelöhr Busbahnhof – ein weiterer Verspätungsgrund. Die Lösung: Der südliche Ast wurde von der Linie 7 abgekoppelt, vom Busbahnhof fährt jetzt die Linie 1 in die Südstadt. Und bäääm: Es gibt Gewinner und Verlierer. Der Verkehrsplaner aus Pfrondorf etwa (nämlich genau der, der die Änderung geplant hat) braucht jetzt länger zu seinem Arbeitsplatz bei den Stadtwerken (kein Scherz…), während all jene, die die Fahrt nicht in Richtung Südstadt fortsetzen, pünktlich ihr Ziel erreichen. Das Leben kann so hart sein…
Und wer entscheidet das?
Weitreichende Änderungen am Netz werden nicht einfach durchgedrückt, komme was wolle. Sind Stadtteile betroffen, holen wir uns Rat und Meinung der Ortsbeiräte oder Ortschaftsräte ein, diskutieren Änderungsvorschläge und suchen die beste Lösung. Großen Änderungen muss der Aufsichtsrat des TüBus zustimmen.
Abhängigkeiten, ein funktionierendes Netz, Nachbesserungen bei Bedarf: Klar, dass es dabei immer Gewinner und Verlierer gibt. Denn letztlich muss jeder Fahrgast ja seine individuellen Anforderungen, sprich Fahrziele und -zeiten, befriedigen. Unser Ziel ist es, dass am Ende mehr Fahrgäste von einer Änderung profitieren als andersrum. Eigentlich ganz einfach, oder?