Schloss Hohentübingen geht ans Fernwärmenetz
„Tübingen macht’s einfach“ – so heißt die aktuelle Fernwärme-Kampagne der Stadtwerke. Wir wollen weg von fossilen Brennstoffen. Riesen-Investitionen fließen in klimafreundliche Wärmeprojekte und in ein modernes, sehr viel größeres Fernwärmenetz. Wir haben mit Schwung losgelegt – übrigens schon einige Jahre vor all den „Heizungs-Gesetz-Diskussionen“, die das Thema erst so richtig heiß gekocht haben. Die Wende läuft bei uns. Aber so einfach ist’s dann doch nicht. Manchmal sogar ganz besonders knifflig. Wie im Fall des Tübinger Schlosses.
Seit Jahrhunderten thront es über der Stadt, erreichbar nur durch steile, schmale, gewundene Gassen. Längst ist es ein Ort der Wissenschaft und Forschung, obendrein ein spannendes Museum – und bald ein Vorreiter in Sachen fortschrittliche Wärmeversorgung. Denn es bekommt einen Fernwärmeanschluss. Habt ihr die Baustelle bemerkt in den letzten Monaten? Wer den Schlossberg hinaufspaziert ist, das Uni-Museum oder die Freiluftkonzerte im Innenhof besucht hat, konnte sie gar nicht übersehen. Das sind also wir. Die Stadtwerke. Genauer: unsere Wärme-Kollegen.
„In die Zukunft heizen“, wie unsere Plakate es verkünden, das soll bald auch ein Teil unserer hübschen Altstadt mitsamt dem Schloss. Ja, auch Denkmäler müssen beheizt werden. Und da haben so viele mitzureden, dass es einem schwindelig werden kann. Sogar die Fledermäuse. 😉
Am Anfang war das Feuer …
Die ältesten Kunstwerke der Menschheit sieht man heute im Tübinger Schloss: Pferdchen, Löwen, Bären, geschnitzt vor Tausenden von Jahren aus Mammut-Elfenbein in Höhlen der Schwäbischen Alb. Im Schein knisternder Lagerfeuer, um die sich die Menschen der Eiszeit versammelten, gegen die Kälte in Felle gehüllt.
Schauen wir uns doch mal weiter um im „Museum für Alte Kulturen“: Die Ägypter hatten das Heiz-Problem wohl nicht. Die Römer verehrten den Feuerbringer Prometheus und installierten in ihren Thermen und Villen Hypokausten, luxuriöse Fußbodenheizungen, die Luftzirkulation nutzten. (Etwas Ähnliches hatten später auch die Mönche in Bebenhausen.)
Das Tübinger Schloss selbst ist ja richtig alt. Nicht wie das bayerische Märchenschloss Neuschwanstein, das im 19. Jahrhundert gleich mit Zentralheizung und fließend Wasser konzipiert wurde und das nur äußerlich auf Mittelalter macht. Hier in Tübingen stand schon vor 1.000 Jahren eine Burg. Im 16. Jahrhundert errichtete Herzog Ulrich sie neu, im angesagten Renaissance-Stil mit Exerzier-Hof, großem Rittersaal, Schlosskirche und Küche. Diese war vermutlich der wärmste Raum im ganzen Gemäuer, nur hier gab es ordentliche Feuerstätten.
Dicke Mauern, hohe Decken. Kalt und zugig waren die Schlösser jener Zeit. In den wenigen Räumen mit offenen Kaminen drängte man sich zusammen. Für die Herzöge von Württemberg und ihre hier stationierte Garnison war der Winter bestimmt keine gemütliche Jahreszeit. Wollteppiche an Wänden, Heu auf dem Boden, Tücher oder Holzläden vor den Fenstern, hohe Stuhllehnen gegen den Zug – all das half mehr schlecht als recht. Behaglich warm war’s nur nah am Kamin. Ich stelle mir vor, wie der Herzog sich da den Rücken wärmte, vielleicht eine modische pelzverbrämte Kappe auf dem Kopf, und drumherum saßen die Ritter mit klappernden Zähnen und waren froh, wenn sie sich wieder in die Rüstung schmeißen und ihre Leibesübungen im Hof machen konnten. Der fast 60 Meter lange Festsaal war doch unmöglich warm zu kriegen!
Wie auch immer – unser Schloss war nur Nebenresidenz und nach den Belagerungen im 30-jährigen Krieg als Wohnstätte nicht mehr gefragt. Rokoko-Herzog Carl Eugen, einer der Uni-Namensgeber, residierte lieber in Ludwigsburg, wo er hübsche Kachelöfen einbauen ließ. Trotzdem trugen die Herrschaften wattierte Haus- oder Unterröcke, um nicht zu frieren. Heizen war Luxus und verschlang ungeheure Mengen Holz aus den herzoglichen Wäldern oder aus dem Schwarzwald. Als der Tübinger Wilhelm Hauff „Das kalte Herz“ schrieb, vom jungen Köhler Peter im Schwarzwald, war dessen Handwerk schon ein Auslaufmodell. Bald kam Steinkohle für Ofenheizungen per Eisenbahn von weit her.
Zurück nach Tübingen: 1816 hatte die expandierende Universität das Tübinger Schloss übertragen bekommen. Die einstige Küche (Feuerstelle!) wurde zum weltweit ersten biochemischen Labor umfunktioniert. Ein Ort für Spitzenforschung: Das Hämoglobin und das Nuklein wurden hier entdeckt. Es folgten weitere Institute, der Rittersaal wurde eine Zeitlang zur Unibibliothek.
Und auch andere entdeckten die Räume für sich. Vor allem die unterirdischen: Fledermäuse der seltenen Gattung Großes Mausohr fühlen sich seit Jahrzehnten in den Kellern wohl. Oben zog 1997 das MUT ein, das Museum der Universität Tübingen, mit seinen Sammlungen aus der Vorgeschichte, dem alten Ägypten und dem antiken Rom. Die wertvollen Exponate brauchen es gut temperiert. Seit Jahrzehnten tat eine Gasheizung im Keller unter dem Schlosslabor ihren Diens – zuletzt nicht mehr ganz so zuverlässig. So kam’s, dass sich der aktuelle „Schlossherr“, das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das „Amt Vermögen und Bau Tübingen“, für eine topmoderne und klimafreundliche Heizmethode entschied: die Fernwärme. Ein starkes Signal für einen so ehrwürdigen Ort, finden meine Stadtwerke-Kollegen – ein Meilenstein für die Wärmewende.
Die fledermausfreundliche Baustelle
Keiner von ihnen kennt die Baustelle so gut wie unser externer Projektleiter Rolf Bieg. Er ist selbständiger Ingenieur mit eigenem Büro und hat die swt schon bei etlichen Projekten begleitet. In und um Stuttgart hat er in rund 50 Kirchen und Gemeindehäusern die Heizanlagen modernisiert, mit alten Gemäuern kennt er sich aus. Und doch ist das Tübinger Schloss etwas Besonderes für ihn: die Lage auf steilem Hang, die Spezialgerät erfordert, die Trassenführung durch enge Gassen, die Fledermäuse. Kompliziert zu planen. Von langer Hand vorbereitet, begleitet vom Denkmalschutz, Naturschutz, Arbeitsschutz, Artenschutz.
Schon vor Jahren hatte er ein Gutachten erstellt – da wäre Fernwärme wirtschaftlich noch nicht sinnvoll gewesen. Heute ist das anders, denn die Schloss-Heizung ist nicht allein: Überall in der Universitätsstadt erweitern wir ja unser Wärmenetz, bauen an strategischen Achsen, um viele Häuser neu anzuschließen. „Diese Dynamik hat sich vor zehn Jahren keiner vorstellen können!“, sagt Rolf Bieg. Seit 2023 arbeiten sich die Wärme-Baustellen auch durch so manche Altstadtgasse. Beim Lustnauer Tor und in der Metzgergasse sind sie längst verschwunden, dann ging es in der Unteren Stadt weiter mit Rappstraße und Gerstenmühlstraße bis zum Burgholzweg. Schon im September 2023 wurden die Leitungen ins Schloss hinein verlegt. Gerade wurde der Abschnitt im Schlosshof fertig.
Das Fledermausquartier im Fasskeller
Die Wärmeleitung erreicht das Schloss von der Nord-Bastion her und führt durch dicke Mauern in den Keller unter dem Rittersaal, in dem das berühmte Riesenweinfass steht. Herzog Ulrich ließ es einst hier aufstellen, als Vorrat für Belagerungen und um die Garnison bei Laune zu halten.
Genau dort residiert die Fledermaus-Kolonie. Ein paar hundert Exemplare sind es derzeit, die keinesfalls gestört werden dürfen. Führungen zum großen Fass gibt es daher nur, wenn die Fledermäuse ins Winterquartier gewechselt sind. Gleiches gilt für die Bauarbeiten hier unten. Die mussten wegen des Artenschutzes im September stattfinden.
(Bild: V. Marquardt)
Auch das Denkmalamt hat das Projekt auf Schritt und Tritt begleitet. „Ganz ohne Eingriff in die Bausubstanz ging es nicht“, sagt Rolf Bieg. „Auflage war, die historischen Steine, die herausgeschlagen wurden, wieder zum Verschließen zu verwenden.“ Neben Fernwärme-Rohren wurden Leerrohre für Glasfaser verlegt. Im Keller selbst verläuft die Leitung über dem Boden. „Die Wände durften wir nicht anrühren. Und die Leitung zu vergraben wäre schwer gewesen, man hätte hier mit der Hand schaufeln müssen.“
Baggerbiss im Schlosshof
Überirdisch verlief die Baugrube quer durch den Schlosshof: vom Fasskeller im Nord- zur Heizzentrale im Südflügel. Auch hier standen sie „unter verstärkter Beobachtung“, erzählt Rolf Bieg. Archäologen waren bei jedem Baggerbiss dabei. Und tatsächlich gab es Interessantes zu dokumentieren: „Wir sind auf eine historische Mauer gestoßen. Vielleicht Teil der älteren Burg.“ Praktischerweise konnten sie aber die Trasse der alten Gasleitung benutzen, für die man früher – weniger sensibel fürs Historische – einfach ein Loch geschlagen hatte.
„Unseren Baumaschinen habe die enge Zufahrt durchs Schlosstor zum Glück gereicht“, so Rolf. Doch wie kriegt man einen Baucontainer da hinein? Die Heizungsfirma, die im Auftrag des Landes die alte Heizanlage ausgebaut hat, brauchte so einen. Und hat ihn mit einem Riesenkran über den westlichen Graben und über den Schlossflügel gehoben – „das klappte ganz knapp, nur Zentimeter über dem Dach!“
Dornenhecke überwinden am Schlossberg
Die schwerste Etappe hatte Rolf Bieg da schon hinter sich: den Berg zu besiegen! Der nördliche Schlossberg steht unter Naturschutz. „Es galt, eine Trasse zu finden, für die wir keine großen Bäume fällen müssten. Im Sommer ist dort alles mit dichtem Dornengestrüpp zugewachsen. Erst nachdem wir das Unterholz gerodet hatten, war klar, wie die Trasse verlaufen könnte.“ (da muss ich doch gleich an den Prinzen und Dornröschens Dornenhecke denken …)
An dem steilen Hang kamen Spezialgeräte zum Einsatz: Ein Schreitbagger wurde extra aus dem Schwarzwald hergeschafft. Wie ein Storch stakste er über den Berg und fraß sich hinein, 60 Meter weit. Dann nochmal 160 Meter bis zum Keller. „Wir sind auf Beton-Fundamente gestoßen, von einer Flugabwehrstellung oder sowas.“ Klar war: Die üblichen starren Wärmerohre kommen hier nicht infrage. Stattdessen isolierte, aber flexible Fernheizkabel aus gerilltem Edelstahl. Verlegt an einem Stück, um keine Muffe einbauen zu müssen. Denn Muffen (so heißen die Verbindungsstücke) können Schwachstellen sein – und der Aufwand für eine Reparatur am Schlossberg wäre immens. Im Rohr gibt es zur Lecküberwachung Drähte, die austretende Feuchtigkeit messen. Zum Schluss wurde der Hang mit Hanfnetzen stabilisiert und Mutterboden aufgebracht. Ist fast schon wieder alles zugewachsen. (Und in Dornröschenschlaf versunken.)
Bei alldem mussten Rettungswege immer freigehalten werden. Oder Stahlplatten bereitstehen, die für Rettungsfahrzeuge über Baugräben gelegt werden können. Ein zusätzlicher Aufwand.
Countdown zum Endspurt
Rolf Bieg und seine Mannschaft sind auf der Zielgeraden: Im September muss alles fertig sein, denn da beginnt die Heizperiode. Und der alte Kessel ist ja weg. Noch etwa 50 Meter auf dem Weg zum Schloss fehlen noch – aber die haben es in sich. Der Verkehr muss schließlich weiterfließen können durch den Burgholz- und den Schleifmühleweg, wo auch TüBusse fahren.
Viele kleine Abschnitte führen zum Ziel: „Innenstadtbaustellen sind oft sehr komplex und dauern schon deshalb länger, weil man sie in kleine Stücke zerfleddern muss“, sagt Rolf Bieg. „Oft gibt es Konflikte mit anderen Leitungen. Selbst wenn wir wissen, wo diese verlaufen, ist die Höhe oft unbekannt. Manchmal müssen wir unsere Pläne anpassen und halt 2 statt 1,40 Meter tief graben. Manchmal müssen wir alte Schächte rausreißen, Beton mit dem Meißelbagger entfernen. Das macht einen unglaublichen Lärm. Höhenunterschiede werden mit speziellen Rohrstücken und zusätzlichen Muffen überwunden. Auch neue Abnehmer anzuschließen, hält auf.“ (Übrigens ist in manchen Altstadtgassen Leitungsbau gar nicht möglich oder nur sinnvoll, wenn er kostensparend mit anderen Maßnahmen, etwa einem neuem Pflasterbelag, kombiniert werden kann.)
Tübingen macht’s einfach?
Grundsätzlich ist der Fernwärmeausbau immer sehr aufwändig. Hier die Arbeitsschritte:
– Graben ausheben,
– mit einer Sandschicht vorbereiten,
– Rohre verlegen,
– Muffen einbauen und aufwändig mit Schaum isolieren,
– alles vermessen,
– eine weitere Sandschicht drauf, um die Leitung komplett zu umhüllen,
– Leerrohre für Glasfaser legen,
– die Tragschicht auffüllen und planieren,
– den Asphalt und Feinbelag aufbringen,
– schließlich entsalztes Wasser ins Rohrsystem einfüllen.
Das alles muss man mit den beteiligten Firmen koordinieren, an Arbeitsschutz und Verkehrssicherung und vieles mehr denken …
Jetzt, wo ich das weiß, werde ich aufmerksamer über die Bauzäune gucken!
Rolf Bieg ist optimistisch, dass sie das schaffen. Und sehr froh, dass durch das unberechenbare Wetter der letzten Zeit kein Schaden entstanden ist. Kein Graben, der mit Wasser vollgelaufen und eingebrochen ist oder den man hätte leerpumpen müssen. „Da haben wir Glück gehabt.“
War das nun sein schwierigstes Projekt? will ich wissen. „Beinahe“, sagt Rolf Bieg. Die Innenstadt von Baden-Baden zu erschließen mit Einschränkungen für Edelboutiquen und Villenviertel, nebst einem Besuch Gorbatschows, für den sämtliche Schächte zugeschweißt werden mussten – das war noch aufwändiger. Aber Schloss Hohentübingen kommt gleich danach.
Vom Lagerfeuer zur Wärme aus Wasser
Ein historisches Gemäuer zu heizen, ist auch heute schwierig und teuer, beinahe wie im Mittelalter. Doch immerhin viel komfortabler. Mit einem großen Unterschied: Mit der Zentralheizung verschwand die Wärmestelle aus dem Blick der Menschen. Heute brennen die Lagerfeuer weit weg! Mindestens im eigenen Keller oder sogar in fernen Kraftwerken. Die Wärme fürs Tübinger Schloss, für seine Eiszeitpferdchen und Pharaonengräber kommt demnächst aus dem Heizkraftwerk in der Brunnenstraße, bald sogar von einer Abwasser-Wärmepumpe in der Kläranlage und von anderen neuen Anlagen südlich des Neckars. So ökologisch und innovativ wie noch nie.
Mein Tipp: Geht mal wieder rauf zum Schloss! Von unseren Arbeiten seht ihr da nichts mehr, dafür könnt ihr das UNESCO-Welterbe, die Kunstwerke der Eiszeit, bewundern oder einfach den tollen Ausblick genießen!
Noch ein Tipp: Für swt-Kund:innen mit Vorteilskarte ist der Eintritt ins MUT ermäßigt. 😊
Weitere Beiträge zur Wärmewende lest ihr hier!
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Zur Autorin:
Birgit Krämer hat an einer nüchternen 60er-Jahre-Uni studiert und beneidet die angehenden Archäologen und Ethnologen, die an so einem tollen historischen Ort wie Schloss Hohentübingen lernen dürfen. Sie weiß aus unsanierten Berliner Wohnungen, wie anstrengend es ist, mit Kohleofen zu heizen.
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