Als zum Super-Silvester das Chaos ausblieb. Ein Foto und seine Geschichte.

Wie habt ihr Silvester 2020 verbracht? Diese Frage erübrigt sich eigentlich nach unserem kontaktlosen Corona-Jahreswechsel. Anders war’s im Jahr 2000: Wo ihr damals das Millennium gefeiert habt, wisst ihr sicher noch alle! Von dieser Nacht bei den Stadtwerken Tübingen erzählt ein Fund aus unserem Archiv …

Keine Böller. Keine Partys. Kein Anstoßen mit Verwandten und Freunden. Ruhig wie noch nie zuvor war unser kontaktfreies Corona-Silvester 2020. So schnell werden wir das nicht vergessen: die leeren Straßen, die bedrückende Atmosphäre des Shutdowns, die Sorge um die Angehörigen, die täglich bange erwarteten Fallzahlen, Ärger über Fake News und Querdenker, die Hoffnung auf die Impfkampagne, die Erleichterung, dieses vermaledeite Jahr geschafft zu haben.

Silvesternacht 1999/2000, 00:30 Uhr. Erleichterte Stadtwerke-Mitarbeiter feiern in der Kantine, nachdem der prognostizierte weltweite Computer-Ausfall nicht eingetreten ist. 

Auch eine Zahl, die Angst machte
Gar nicht sooo lange her ist ein komplett anderes Silvester, das überlaut und sehr fröhlich rund um den Globus gefeiert wurde: das Super-Silvester zum Jahr 2000. Das „Millennium“, mit seiner hohen Symbolkraft hatte es sogar zum Wort des Jahres gebracht. Und bei aller Ausgelassenheit kursierten auch damals Verschwörungstheorien und Ängste, teilweise Panikmache – ganz ohne Social Media und Corona-Pandemie (übrigens das „Wort des Jahres 2020“). Esoteriker fürchteten zur Jahrtausendwende den Weltuntergang, andere doch zumindest den Zusammenbruch sämtlicher Computersysteme. Ich erinnere mich, dass teils auch seriöse Medien apokalyptische Szenarien voraussagten: Verkehrschaos, Börsencrashs, Weltwirtschaftskrisen oder Kernschmelzen – alles schien möglich. Warum nur?

Das Problem mit der Doppel-Null
So ganz abwegig war das nicht. Das „Jahr-2000-Problem“ oder „Millennium-Bug“ machte vielen Unternehmen Sorge. Gemeint ist ein Computerproblem, verursacht durch die Nutzung zweistelliger Jahreszahlen. Zu Beginn unseres digitalen Zeitalters, als die Arbeitsspeicher der Rechner nur verschwindend geringe Datenmengen fassten, sparten Programmierer Speicherplatz, wo sie nur konnten und kürzten Jahreszahlen auf die letzten beiden Ziffern. Automatisch ein Jahrhundert umschalten? Ausgeschlossen für die PCs. Komplikationen rund um die Datumsumstellung schienen wahrscheinlich. Würden Programme und Geräte das Doppel-Null-Datum verarbeiten können? Wären sie Millennium-tauglich?

Bei den Stadtwerken blieb man cool
Nicht nur sicherheitsrelevante Betriebe ließen ihre Computersysteme checken und rüsteten sich für den Ernstfall. Banken stellten in der Silvesternacht ihre Geldautomaten ab. Auch bei den Stadtwerken Tübingen hatte man sich frühzeitig die Frage gestellt: Was, wenn Kraftwerke fehlgeschaltet oder lahmgelegt würden? Wenn unsere Anlagen verrücktspielten? Ich war selbst noch nicht dabei, aber Kollegen erinnern sich gut. Etwa Peter Hitzfelder, schon damals Chef der swt-Leitwarte. Die Zeitschrift „Computerwoche“ zitierte ihn bereits in einer Februarausgabe 1999 unter der Überschrift „Württemberger Energieversorger halten Gau für unwahrscheinlich“:

„100 Prozent Sicherheit gibt es nicht, ein Rest Unsicherheit bleibt.“

Peter Hitzfelder, 1999

Also kein Grund für Panikmache? In der Leitwarte, dem Dreh- und Angelpunkt der Stadtwerke, laufen alle Daten zusammen – Strom, Gas, Wasser, Anlagensteuerung. Der Fachmann Hitzfelder, der vieles selbst programmiert hatte und sich nicht auf die vagen Aussagen der Software-Hersteller verließ, zweifelte daran, dass es zu Ausfällen kommen könnte. „Wir hatten im Vorfeld viele Tests durchgeführt, das Schicksalsdatum 2000 simuliert, ohne dass es zu Beeinträchtigungen kam. Das Leitsystem würde weiterlaufen – allerdings nahmen angeschlossene Rechner das Datum nicht an.“ Kein Problem für die Versorgungsicherheit also, aber wohl eines für Datenverarbeitung und Verbrauchsabrechnung.

Bestens gerüstet? Oder Restrisiko?
Die swt hatten vorsorglich 1999 die veraltete Hard- und Software ausgetauscht. Peter Hitzfelder: „Wir haben eine halbe Million Mark in die neue Technik investiert. Ich hatte dafür viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Ausschlaggebend war dann nicht das Jahr-2000-Problem, sondern die Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit. Der Energiemarkt war ja gerade liberalisiert, nun konnte jeder von überall her Strom beziehen – komplexe, neue Anforderungen, die es nötig machten, zu modernisieren.“

Mit einem guten Gefühl sah er daher der Silvesternacht entgegen. „Ein unbekanntes Restrisiko blieb natürlich. Hoffentlich hatten wir bei den Tests nichts übersehen …“ Wie wir das von den Stadtwerken nicht anders kennen, ging man doppelt und dreifach auf Nummer sicher. Erarbeitete Notfallpläne für die Silvesternacht 1999/2000, verstärkte das Team der ohnehin dauerbesetzten Leitwarte. Wichtige Mitarbeiter hatten Rufbereitschaft, Bereichsleiter, auch Leitwarten-Chef Hitzfelder und der damalige Geschäftsführer Dr. Friedrich Weng, waren vor Ort und harrten gemeinsam der Dinge, die da kämen.

Martin Gerstenecker (erster rechts im Bild oben), der extra für die Silvesternacht seinen Winterurlaub mit seiner zukünftigen Frau unterbrochen hatte, erinnert sich: „Es war schlicht so, dass man unsicher war, was passiert, wenn zur Jahrtausendwende die Geräte auf einmal nicht mehr wissen, ob nun 1900 oder 2000 ist. Wir hatten alle Umspannwerke und Schalthäuser besetzt. Herbert Weitzenberg, im oberen Bild links vorne, rief von der Leitwarte aus regelmäßig in allen Anlagen an, um zu erfahren, ob alles okay ist. Spannend war er schon …“

Peter Hitzfelder (links) und Dietmar Niedermaier in der Leitwarte um das Jahr 2000

Countdown! 23:58 – 23:59 – 00:00  
Und … „Passiert ist dann einfach NICHTS, genau wie wir das erhofft hatten“, so Hitzfelder. Das befürchtete Chaos blieb aus. Während draußen Rekord-Feuerwerk-Partys das neue Jahrtausend begrüßten, ließ man auch in der swt-Kantine erleichtert „die Korken knallen“. Spektakulär unspektakulär. Einer der Anwesenden hielt den Moment mit der Kamera fest.

Auch heute unser „Sicherheitszentrum“: die swt-Leitwarte

Ein gutes neues Jahr 2021!
In der Leitwarte der Stadtwerke freuen sich die Kolleginnen und Kollegen heute wie damals über ruhige Silvesternächte. Klar – auch bei der Feuerwehr, in den Notaufnahmen der Kliniken, überall wo Menschen nachts arbeiten. Vielleicht freute sich auch der klare Himmel über Tübingen. Hoffen wir, die Geister des alten Jahres sind bald vertrieben!

Wie war Dein Millennium? Weißt Du es noch?

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