E-Auto: Weltverbesserer mit Imageproblem?


In großer Runde über Elektromobilität diskutieren hat immer den gleichen Effekt: Es gibt Befürworter und Gegner. Vielmehr noch: Es gibt Liebhaber und Hasser. Und irgendwann kommt es immer – das Argument „Kinderarbeit“. Das soziale Gewissen ist bei kaum einem anderen Thema so ausgeprägt wie beim E-Auto. Zu Recht? Und warum ist das so? Eine (nichtwissenschaftliche) Betrachtung…

Die Gefahr lauert überall: Geburtstagsfest im Familienkreis. Ich will nicht, ich habe keine Lust. Auf die Feier schon. Nicht aber auf die Diskussion mit der Schwiegermutter der Gastgeberin: „Wenn es nur noch E-Autos gibt, fahre ich nicht mehr Auto.“ Woher kommt diese Ablehnung, dieses konsequente Schwarz-Weiß, sobald es um das Thema Elektromobilität geht?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieser Text ist keine wissenschaftliche Abhandlung, kein vollständiges Für und Wider aller Aspekte eines Elektrofahrzeugs. Er ist vielmehr der Versuch zu ergründen, warum dieses Thema jenseits aller Argumente so sehr spaltet. Das interessiert mich auch deshalb, weil Elektromobilität eine immer größere Rolle im Alltag der Stadtwerke Tübingen spielt. Der Fuhrpark wird immer elektrischer, wir bieten E-Sharing mit Roller und Auto an und sind für den Ausbau der Ladeinfrastruktur in Tübingen zuständig.

Klima-Absolution für meine Bequemlichkeit?
Zu gerne würde ich hier alle Argumente gegen E-Mobilität vom Tisch fegen – einschließlich der Überzeugung meines Gegenübers. Es ist nämlich so: Ich fahre Fahrrad und Bus und ich gehe zu Fuß. Ohne Auto aber wäre mein Leben um einiges komplizierter. Das heißt, ich wünsche mir ein reines Gewissen für mein Auto-Ich. Klima-Absolution für meine Bequemlichkeit. Wenn es doch so einfach wäre…

Zurück zur Feier: Wie gesagt, ich habe keine Lust auf Diskussionen. Weil ich mich generell schwertue mit Konflikten. Aber auch, weil ich immer wieder Schwierigkeiten habe, gegen pauschale Ablehnung „anzuargumentieren“. Denn es geht ja gar nicht um den Austausch von Argumenten. Da hätte ich einiges zu bieten. Es gibt vieles, was für E-Mobilität spricht – sauber, leise, effizient. Es gibt Argumente, die dagegensprechen, gerade hier im Ländle, wo jahrzehntelang Arbeitsplätze und Wohlstand an der Autoindustrie hingen. Und es gibt durchaus nachvollziehbare Gründe, möglichst gar nicht mehr Auto zu fahren – konventionell oder elektrisch.

Kinderarbeit bei der E-Auto-Produktion – und jede Diskussion ist schlagartig zu Ende
Ich habe mal irgendwo gelesen: „Du kannst heute keine Jeans mehr kaufen, ohne nicht mindestens ein Kind auf dem Gewissen zu haben.“ Das klingt knüppelhart. Zeigt aber auch, dass unser Bewusstsein für fair gehandelte und produzierte Produkte steigt. Beim E-Auto steigt dieses Bewusstsein scheinbar überproportional. Ich erinnere nochmal an die Schwiegermama: „Lieber gar kein Auto, als eines, bei dem die soziale Gerechtigkeit leidet.“ Ums Klima geht’s hier erstmal gar nicht. Hat sie beim Diesel nicht interessiert, interessiert sie beim E-Auto gleich zweimal nicht. Weil: Kinderarbeit! Keine weitere Beweisführung notwendig. Oder?

Bild: ©terovesalainen – stock.adobe.com

Der Reihe nach:
Menschenunwürdige Produktionsbedingungen bringen leider viele unserer Konsumgüter mit sich. Bekannt sind etwa die Missstände in Textilfabriken spätestens seit dem Einsturz des achtstöckigen Fabrikgebäudes „Rana Plaza“ in Bangladesch im April 2013, bei dem über 1.100 Menschen ums Leben kamen. Vieles hat sich seither getan, zumindest in meiner Filterblase: Faire Modelabels sind nicht mehr nur ein politisch-gesellschaftliches Statement, sondern auch optisch echte Alternativen zu Fast-Fashion. Der Verzicht auf neue Kleidung oder auf gefärbte Kleidung ist salonfähig geworden. Wie gesagt: Meine Bubble. Denn das Bundesumweltministerium schreibt dazu: „Die globale Kleidungsproduktion hat sich seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt, und Studien prognostizieren für die kommenden Jahrzehnte ein weiteres intensives Wachstum im Textilsektor. Alle Anzeichen einer exzessiven, nicht-nachhaltigen Entwicklung sind erfüllt.“ Der Aufschrei bleibt aus oder zumindest ist es nur ein dünnes Stimmchen, das da ans gesellschaftliche Gewissen appelliert. Und das ist nur der Textilbereich. Das Fass Technologie, das in diesem Zusammenhang zwangsläufig aufgeht, ist vielleicht noch größer.

Ist das E-Auto die Billigjeans der Autobranche?
Lithium, Kobalt, Nickel und Kupfer: Rohstoffe, die in nahezu jedem Akku-betriebenen Gerät stecken und der Stein des Kinderarbeits-Anstoßes sind. Konkret geht es in der Diskussion meist um Kobalt, das – so der Vorwurf – in überwiegend armen Ländern von den Ärmsten, oftmals auch Kindern, unter menschenunwürdigen Bedingungen in Minen abgebaut wird. Steckt also in jedem Smartphone, in jedem Akkustaubsauger und im E-Auto Kinderarbeit? Noch vor zwei Jahren konnte die Bundesregierung das nicht ausschließen: „Die Produktion gelangt zum größten Teil nach China, und es ist daher nicht auszuschließen, dass in den kobalthaltigen Produkten, die von China exportiert werden, auch artisanal gefördertes Kobalt aus der Demokratischen Republik Kongo enthalten ist.“1 Artisanal, das bedeutet Rohstoff-Förderung mit nicht industriellen Methoden, quasi von Hand. Und in diesem Anteil steckt – potenziell – die Gefahr für Abbau unter menschenunwürdigen Bedingungen. Laut einem Artikel der Welt lösen deutsche Autobauer das Problem, indem sie andere Märkte erschließen: „Sie überlassen den Markt den chinesischen Aufkäufern und setzen auf alternative Quellen, die unter anderem in Australien und Russland erschlossen werden. Zudem forschen alle Zellhersteller zugleich fieberhaft an Methoden, um die Kobaltanteile in ihren Akkus zu verringern.“

Aber Du hast ja auch ein Handy!
Einfach wäre es jetzt, an dieser Stelle das beliebteste Argument aller E-Auto-Befürworter auf den Tisch zu bringen: Wenn Du gegen E-Autos bist, darfst Du aber auch kein Smartphone haben! Denn darin stecken natürlich ebenfalls besagte Rohstoffe. Bei der Geburtstagsfeier: Ich setze schon an mit „Aber“, besinne mich dann jedoch anders. Klar, für die Bloßstellung meines Gegenübers, als Beweis der Doppelmoral taugt das Argument allemal. Aber als Rechtfertigung? Wenn wir ehrlich sind, macht es die Sache ja nicht besser. Interessant ist aber, dass beispielsweise Kobalt seit jeher für verschiedene Alltagsgeräte gebraucht und auch bei der Entschwefelung von Erdölprodukten eingesetzt wird – und damit letztlich auch im Verbrenner steckt.

Weltverbesserung
Ich muss mir eingestehen, dass ich den Vorwurf der sozialen Ungerechtigkeit zwar relativieren, aber nicht so leicht entkräften kann. Denn gerecht ist unser Konsum in vielen Fällen nicht. Fakt ist aber: Das gilt für viele unserer Lebensbereiche und bei weitem nicht nur für die E-Mobilität. Wichtiger wird in diesem Zusammenhang zum einen das Thema Lieferketten, dem sich die Politik jüngst gewidmet hat – endlich. Zum zweiten richtet sich das Augenmerk verstärkt auf das Recycling. Denn ein großer Teil der Rohstoffe, der in Batterien steckt, kann wiederverwertet werden.3 Und das ist ein klarer Vorteil gegenüber Verbrennern und deren Rohstoffhunger. Wirft man nun alle Argumente inklusive diverser Studien zur Klimabilanz von Elektrofahrzeugen in einen Topf, etwa die des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI 4, so komme ich zu dem Schluss: Elektrofahrzeuge sind keine Weltverbesserer. Diesen Job müssen wir selbst übernehmen und an unseren eigenen Gewohnheiten arbeiten. Eine gute Möglichkeit ist es, Sharing-Angebote zu nutzen. Diese sprießen wie Pilze aus dem Boden und sind zumindest in den Städten schon so weit, dass sie das eigene Auto ersetzen können. Wenn wir aber weiterhin auf das eigene Fahrzeug angewiesen sind, haben E-Autos klare Vorteile gegenüber Verbrennern. Der Umstieg muss nicht morgen passiert sein. Den (neuen) Verbrenner zugunsten eines E-Autos zu verschrotten, ist nicht nachhaltig. Aber wir sollten uns der Entwicklung nicht verschließen, sondern Argumente zulassen und abwägen.

Sharing-Angebote können heute schon eine Alternative sein. Für alle, die aufs Auto angewiesen ist, lohnt der Vergleich zwischen E-Auto und Verbrenner.

Überzeugt?
Zu diesem Schluss komme ich. Aber die Schwiegermama? Sind das Argumente, die überzeugen, jenseits des erhobenen Zeigefingers? Wenn ich ehrlich bin: Ich habe Zweifel. Vermutlich geht es gar nicht darum, sondern vielmehr um die Liebe der Deutschen zum Auto. Ich verstehe das. Denn das Auto ist Teil der deutschen Identität: Wirtschaftswunder, Mobilitätsgarant, Statussymbol. Autofahren macht Spaß. Jeder hat seine eigene, ganz persönliche Auto-Geschichte. Meine ist weinrot. Golf 4, das erste eigene Auto, das mich zum Studium, in den Urlaub und an den ersten Arbeitsplatz gebracht hat, ein Ort äußerst vertrauensvoller Gespräche und gemeinsamer Erlebnisse. Das sollen wir aufgeben?
 
Um Himmels Willen, nein! Aber muss dieses Fahrzeug unbedingt einen Verbrennungsmotor haben? Ich wünsche mir drei Dinge:

  1. Seht die Entwicklung etwas entspannter! Dann knutschen die nächsten Generationen eben im E-Auto!
  2. Probiert es aus und Ihr werdet merken: Auch im E-Auto kommt man von A nach B. Heute vielleicht noch nicht immer bis Z. (An dieser Stelle widerspricht der E-Auto-erfahrene Kollege, der bereits die Strecke von Tübingen bis ans Nordkap elektrisch zurückgelegt hat – laut eigener Auskunft „ohne Probleme“…) Aber das wird sich ändern.
  3. Habt Vertrauen in die Industrie. Wir sind das Land des VW Käfers, des Mercedes-Sterns und von Michael Schumacher. Wir haben Auto im Blut. Warum nicht auch E-Auto? 

Die Feier war übrigens trotz allem sehr nett. Die Frage, ob der Kaffee fair gehandelt ist und woher eigentlich die Grillwurst kommt, habe ich mir verkniffen.


 
Quellen:

1 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2019/19-11137.pdf?__blob=publicationFile&v=2

2 https://www.welt.de/wirtschaft/article197804821/Kobalt-Lithium-und-Nickel-Hier-will-die-Welt-ihre-Batterie-Gier-stillen.html

3 https://www.auto-motor-und-sport.de/tech-zukunft/alternative-antriebe/verbrenner-verbrauchen-mehr-rohstoffe-als-elektroautos/

4 https://www.isi.fraunhofer.de/content/dam/isi/dokumente/sustainability-innovation/2019/WP02-2019_Treibhausgasemissionsbilanz_von_Fahrzeugen.pdf 

2 Gedanken zu „E-Auto: Weltverbesserer mit Imageproblem?“

    1. Vielen Dank! Genau das sollte es sein. Denn zu diesem Thema wirklich alle Fakten zusammenzutragen – das ist schlicht unmöglich. Und war auch gar nicht der Ansatz. Für die nächste Diskussion bin ich jedenfalls bestens vorbereitet 😉

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