Gehört sich das? Bademode im Wandel der Zeit

„Oben ohne“ für alle? Abseits aller Weltpolitik und Wettersorgen ist dies das Aufreger-Thema des Sommers 2022. Auch in Tübinger Schwimmbädern und Leserbriefspalten wird lebhaft über eine neue Kleiderordnung diskutiert. Sollten Frauen weiterhin ihre Brüste bedecken? Wie weit geht unsere Toleranz? Vielleicht hilft da ein Blick in die recht junge Geschichte der Badekleidung. Wir wundern uns über frühere Grenzen des Anstands und erfahren, was der Bikini mit der Atombombe zu tun hat.

Enge Badetrikots sind 1920 neu. Während nicht selten noch ein Rock darüber getragen werden muss, zeigen die Schwimmerinnen im Uhlandbad viel Bein. (Quelle: Stadtarchiv Tübingen)

Dürfen auch Frauen „oben ohne“ baden? Seit Göttingen und Siegen mit ihren Freibädern vorgeprescht sind, ist vielerorts die Debatte entbrannt, nun fordert auch in Tübingen die Partei „Volt“, Frauen und nicht-binäre Menschen im Freibad gleichzubehandeln. Mehr Toleranz für alle! Unseren Freibadchef David Letzgus-Maurer haben die erregten Leserbriefe überrascht. Ihm ist das Anliegen neu. Im Tübinger Freibad müssen weibliche Brüste außerhalb des FKK-Bereichs noch immer bedeckt werden. Die Badeordnung sieht „übliche Badekleidung“ vor und ist da sehr liberal: Schlabbershorts, Burkini, Neopren – alles erlaubt.

Im Juni hat eine repräsentative Umfrage der Deutschen Presse-Agentur gezeigt: Die nackte weibliche Brust spaltet. 37 Prozent der Befragten sind dafür, Frauen keine Oberteile mehr vorzuschreiben. Darunter – kaum verwunderlich – mehr Ost- als Westdeutsche, mehr Männer als Frauen (46:28 Prozent). 28 Prozent lehnen die Idee insgesamt ab, ähnlich viele sind unentschlossen.

Eines zeigt das Thema deutlich: Nämlich, wie sich kulturell bedingte Schamgrenzen immer wieder verschieben. Um wessen Freiheit geht es hier? Schließt die Forderung im Sinne der Anti-Diskriminierung nicht gerade andere aus, denen so viel Offenheit zu weit ginge? In Amerika jedenfalls sind Nippel ein No-Go (man denke an Janets Jacksons „Nipplegate“), während in Frankreich das Burkini-Verbot in Schwimmbädern und an Stränden immer wieder hohe Wellen schlägt. Nackt in die Sauna geht man in beiden Ländern nicht. Während ich eher zu den Schamhaften gehöre, die sich, wenn überhaupt, nur im einteiligen Badeanzug im Freibad sehen lassen, ergibt eine Blitzumfrage in meiner Aquafitnessgruppe: Die nicht mehr ganz so jungen Frauen sehen das überraschend locker – und würden sich über befreite Brüste durchaus freuen. „Jeder wie er mag und wie er sich wohlfühlt. Man kann ja auch wegsehen.“ Body-Positivity heißt das Schlagwort.

Ich finde, da lohnt doch mal wieder ein Blick in die Geschichte. Wie war das eigentlich früher mit der Bademode, als „Schicklichkeit“ noch völlig anders definiert wurde?

Schwimmbäder für alle! Aber anständig.  

Um 1900 herum hat es sich herumgesprochen, dass Schwimmen „gut für die Volksgesundheit“ ist. Als 1908 in Tübingen das städtische Freibad im Neckar und 1914 das Uhlandbad öffnen, geht es dort noch ganz anders zu, als wir das heute gewohnt sind. Knappe Bikinis sind Lichtjahre jenseits aller Vorstellungskraft. Die Kaiserzeit ist, was die Mode angeht, die Epoche der Korsetts, der bodenlangen Röcke und großen Hüte. Dass Frauen überhaupt in der Öffentlichkeit baden dürfen, ist ein neues Phänomen. Und selbstverständlich nur dann erlaubt, wenn keine Männer zugegen sind. Noch Ende des 19. Jahrhunderts gab es für die Tübingerinnen nur die kleinen Badehäuschen am Neckarufer. Darin stiegen sie, vor lüsternen Blicken geschützt, komplett angezogen ins Wasser, in langen Kleidern, schwarzen Strümpfen und Badeschuhen – selbst nackte Füße galten lange Zeit als obszön.

Auch in den neuen städtischen „Schwimmanstalten“, das entnehme ich den Baderegeln, wird auf Sitte und Anstand geachtet. Im Uhlandbad gibt es für Männer und Frauen getrennten Badezeiten. Wer keine Badekleidung besitzt, kann für 40 Pfennig züchtige Badewäsche ausleihen.

Mit der Eröffnung des Uhlandbads erweitern die Tübinger Modegeschäfte ihr Sortiment um Bademode: Werbeanzeige 1914

Vom wallenden Stoffungetüm zum engen Trikot

Schon seit der Jahrhundertwende sind die Badekleider der Damen kürzer geworden. Badekostüme in vielen Kombinationen kommen auf: Hosen, Jacken mit Schößchen, Blusen mit Gürteln, bisweilen elegant verziert mit Bordüren und Stickereien, dazu Badehüte und -hauben. Die Modefarben Rot, Blau und Weiß lösten das strenge Schwarz ab. Mit Gewichten behängte Reifröcke schützen am Meer vor der Gefahr, entblößt zu werden. Um 1908 wird der „Badesack“ modern, ein Gewand mit Gürtelschößchen und Achselverschluss. Die Herren tragen in jener Zeit die berühmten geringelten Badetrikots mit Beinchen und zeigen sich noch selten mit freiem Oberkörper.

Vielleicht habt ihr auf nostalgischen Postkarten schon einmal Strandbilder dieser Zeit gesehen: An deutschen Nord- und Ostseestränden werden für die Damen die Badehäuschen („Aalkästen“) mit Pferdekarren ins Wasser gezogen. Und am Strand flanieren sie dann in langen Gewändern, ausgestattet mit Hüten und Schirmen, um die vornehme Blässe zu erhalten.

1907 wirbt die Tübinger Chronik für die neueste Sommermode: fußfreie Sommerkleider, Fahrrad- und Badekostüme – „Mit Bedacht soll das allerleichteste Kostüm gewählt werden.“

„Ich will schwimmen, und das kann ich nicht mit einer Wäscheleine voll Stoff an meinem Körper!“

So beschwert sich 1907 die australische Sportschwimmerin Annette Kellermann, wirft die Textilmassen ab und springt am Strand von Boston im engen Wolltrikot ins Wasser. Prompt wird sie wegen Erregen öffentlichen Ärgernisses verhaftet. Erich Kästner beschreibt die Badeanzüge der Kaiserzeit so: „Sie glichen Kartoffelsäcken aus Leinen, nur dass sie bunt waren und lange Hosenbeine hatten. Und statt anliegender Badehauben trug die Damenwelt aufgeplusterte Kochmützen aus rotem Gummi. Es war ein Anblick zum Steinerweichen.“ (Als ich ein kleiner Junge war)

Doch die Tage der umständlichen Badekostüme sind gezählt. Um 1914 befreit Coco Chanel die Damenwelt vom Korsett und entwirft für die Trendbäder der Normandie Bademode aus elastischem Material. Von nun an bestehen Badeanzüge aus leichtem Baumwoll-Jersey, farblich meist dunkel mit abgesetzten Rändern. Nach dem ersten Weltkrieg wird es bunter, die Schnitte enger und gewagter. Die erste Bademodenschau auf dem Berliner Ku`damm erregt die Gemüter: Die Damen zeigen ungeniert ihre Knie. Unerhört! Konservative Kreise sehen die Moral in Gefahr. Noch in den 1920er Jahren müssen Frauen in vielen Badeanstalten über dem modischen Einteiler einen Rock tragen.


Sorgt für Ordnung: der „Zwickelerlass“

Während die Lebensreformbewegung ein Zurück zur Natürlichkeit fordert, und FKK an Zulauf gewinnt, wird auch die Bademode immer freizügiger. In der Tübinger Badeordnung von 1930 heißt es aber: „Bei der Benutzung des Bades haben sich männliche Badegäste einer Badehose und weibliche Badegäste eines Badeanzugs zu bedienen. (Beide) dürfen nicht durchsichtig sein.“ Trotzdem sorgt sich der Gemeinderat um die „guten Sitten“ in den städtischen Anstalten. Vor allem die beinfreie „Dreiecksbadehose“ für Männer gilt als skandalös und wird auch in Tübingen verboten: So verlangt es der „Zwickelerlass“ des preußischen Innenministeriums von 1932. Der untersagt nicht nur das Nacktbaden, sondern regelt auch ganz genau, welche Körperteile beim Baden zu verhüllen seien: „Frauen dürfen öffentlich nur baden, falls sie einen Badeanzug tragen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckt, unter den Armen fest anliegt sowie mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist. Der Rückenausschnitt des Badeanzugs darf nicht über das untere Ende der Schulterblätter hinausgehen. Männer dürfen öffentlich nur baden, falls sie wenigstens eine Badehose tragen, die mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist. In sogenannten Familienbädern haben Männer einen Badeanzug zu tragen.“

Bekanntmachung in der Tübinger Chronik vom Mai 1933: Der Gemeinderat verbietet die Dreiecksbadehose für Männer.

Doch immerhin sieht die Badeordnung 1933 vor, Geschlechter nicht mehr zu trennen: Zum ersten Mal dürfen Männlein und Weiblein gemeinsam ins Wasser – im Uhlandbad immerhin für zwei Stunden pro Woche im „Familienbad“. Hier setzt sich das nur langsam durch: Bis 1971 gibt es noch eine exklusive Herrenstunde, bis heute können die Damen am Donnerstag ein Stündchen unter sich sein.

Vom Bikini zur Beachwear

Fortschrittlicher geht es in den USA zu, wo in den 30er-Jahren die ersten Zweiteiler aufkommen, bestehend aus Top und Pumphose. Hollywood-Stars und Pin-up-Girls zeigten in rückenfreien Einteilern viel Haut. Und im Juli 1946 präsentiert dann Louis Réard im Pariser Schwimmbad Molitor seine neueste Kreation: einen aus vier winzigen Stoffdreiecken bestehenden Zweiteiler, den er „Bikini“ nennt. Nur vier Tage zuvor hatten die USA eine Atombombe über dem Bikini-Atoll gezündet – und auch das neue Badekostüm schlägt ein wie eine Bombe! Präsentiert wird das freizügige Outfit (huch: man sieht den Nabel!) von einer Stripteasetänzerin, da sich alle anderen Mannequins geweigert hatten. (Eigentlich ist dieser Look übrigens uralt und schon auf römischen Mosaiken in Sizilien zu sehen.) Erst Bond-Girl Ursula Andress macht den Bikini so richtig populär. Geradezu ikonisch wird ihr Auftritt in „James Bond jagt Dr. No“ 1962 mit einer Sonderanfertigung in Weiß mit Pistolengürtel. Seltsam, dass ausgerechnet dieses Teil neulich auf einer Auktion verschmäht wurde …

Auch in den Tübinger Bädern wird der Modehit Bikini bald gesichtet, wie mir Zeitzeuginnen berichten, etwa Ruth Winkler, die in den 50er Jahren ihr nagelneues Bikini-Oberteil beim Sprung vom Dreier verlor. Bei der Einweihung des Freibads 1951 tauchen Bikinis noch nicht auf. Dafür preist das Tagblatt als allerneuesten Schrei einen „unsinkbaren Badeanzug“ an, aus Gewebe mit integrierten Kautschuk-Luftpölsterchen. Auf den alten Freibad-Fotos in unserem Archiv sehe ich noch viel Selbstgestricktes. Auch meine Mutter, die im Rhein schwimmen lernte, tat das unter erschwerten Bedingungen mit Segeltuchschuhen und im schnell sich vollsaugenden Strick-Badeanzug. Moderne, leichte Fasern wie Nylon sorgen allmählich für Verbesserung.

Aus dem Familienalbum: Meine Oma mit meinem Onkel in gestrickter Träger-Badehose in den 40er-Jahren.


Während in der DDR Freikörperkultur großgeschrieben wird, geht es im Westen der 50er-Jahre prüder zu. Selbst zum Duschen im Schwimmbad ist es unüblich, sich auszuziehen. „Gründliche Körperreinigung“ ist zwar vorgeschrieben – aber keinesfalls nackt! Das Bäderpersonal wird angewiesen, im „Brauseraum“ für Ordnung zu sorgen. Nach Beschwerden über Nacktduscher lassen die Stadtwerke Plakate anbringen: „Duschen ohne Badekleidung nicht gestattet!“ Nackte Haut ist noch ein seltener Anblick, was auch das häufige Löcherbohren in die Kabinenwände erklärt (aber das ist eine andere Geschichte: https://blog.swtue.de/350-loecher-den-kabinenspechten-auf-der-spur).


Oben ohne: Das gilt nun für Bademützen!

20 Jahre später – längst ist die Erregung über zu wenig oder fehlende Badekleidung abgeebbt – wird die Bademützenpflicht in unseren Bädern zum vieldiskutierten Thema. 1971 wird in der Badeordnung der Satz „Weibliche Badegäste müssen Bademützen tragen“ um die „langhaarigen Männer“ erweitert – die Hippies lassen grüßen! Und was ist eigentlich mit Bärten? Ein gefundenes Fressen für Leserbriefschreiber.

In den 80er-Jahren geht die Ära der Bademützen zu Ende. Auch bei den Bikini-Oberteilen ist Schwund festzustellen. Feministinnen entledigen sich ihrer BHs, und nahtlose Bräune ist in. Wie umgehen mit der neuen Freizügigkeit auf den Liegewiesen? Die Schwimmmeister werden angewiesen, sich zurückzuhalten und nur bei Beschwerden einzugreifen. Für die Runderneuerung des Freibads 1995 gehört ein extra FKK-Bereich zu den meistgenannten Wünschen.

In den 70er-Jahren sind Bademützen noch Pflicht.
In den 70ern präsentiert die Firma Rösch im eigenen Werksschwimmbad „Beachwear made in Tübingen“. (Bild: Gerhard Rösch GmbH)
Viel Haar, wenig Stoff: die 80er

Die Aerobicwelle bringt die hohen Beinausschnitte und knallige Neonfarben mit sich, die Bademode wird abermals knapper, bis hin zum String Tanga sogar bei Männern, dann wird`s wieder voluminöser: Weite und knielange Boxershorts kommen in Mode und werden in manchen Freibädern verboten, da sie viel Wasser aufsaugen. In den letzten Jahren ziehen immer mehr großflächige Tattoos Blicke auf sich. An den Damen-Badeanzügen sieht man manchmal wieder Beinchen, es gibt „Tankinis“ mit weiteren Oberteilen und den ein oder anderen Burkini. Und bei den Jungs befremdet mich der merkwürdige Trend zum doppelten Hosenbund: Da blitzt dann ein Calvin-Klein-Hilfiger-Armani-Unterhosen-Schriftzug unter der Badehose hervor. Puh. Aber dazu muss man nicht etwa die Unterhose anlassen: Viele Hersteller verkaufen inzwischen Badeshorts mit fertigem Doppelbund. Während die einen den Markenschlüpfer gar nicht ausziehen mögen, wollen die anderen sich nun also oben herum frei machen. Wie viel Stoff darf es denn nun sein?

„Free the Nipple!“ Mehr Brüste wagen?

Ich bin gespannt, wohin die Reise geht. Was feststeht: Die große, bunte Freibad-Community, wo man modisch und figürlich einfach alles sehen kann, befreit schnell von eigenen Komplexen. Im Tübinger Freibad stellt sich das Oben-ohne-Problem jedenfalls nicht mehr lange: Geheizt wird das Wasser wegen der Energiekrise ja nun nicht mehr. Da wird die bevorzugte Badekleidung zum Ende der Saison wohl der Neopren-Anzug sein.

Die Autorin 1973 – regelbewusst mit Bademütze sogar im heimischen Planschbecken

Jetzt ihr:

Wie steht ihr zur aktuellen „Oben-ohne-Frage“?
Welche Erinnerungen habt ihr an eure Badeanzüge, Badehosen, Bademäntel früher? An Heiß-Ersehntes, Top-Modisches oder geschmackliche Ausrutscher? Und: Kennt ihr auch noch diese „praktischen“ selbst genähten Frottee-Umkleide-Umhänge mit Gummizug am Hals? (Die fanden wir als Jugendliche am Strand so peinlich…)

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