Bilanz nach drei Jahren
Im August 2021 haben mein Mann und ich unser Auto verkauft und ein Leben ohne eigenes „Heilig’s Blechle“ begonnen. Schon einmal habe ich davon berichtet, wie es uns damit ergeht. Zum Start ins neue Jahr denken viele über gute Vorsätze nach. Ihr auch? Vielleicht ist ein „autofreies“ Leben oder nachhaltigere Mobilität auch für euch spannend. Daher folgt jetzt hier ein Update – was hat sich für uns seither verändert? Wie haben sich die Angebote in Tübingen weiterentwickelt und welchen Beitrag leisten die Stadtwerke dazu. Vielleicht ist ja die ein oder andere Idee dabei, die auch ihr 2025 umsetzen könnt!
Wie wir vor dreieinhalb Jahren darauf kamen, ohne eigenes Auto zu leben, könnt ihr hier nachlesen. Die skeptischen Fragen von Familie und Freunden haben uns von Anfang an begleitet: Worauf wir alles verzichten müssten, wie umständlich und teuer das doch sicher sei und und und. Heute können mein Mann und ich sagen: Es hat sich bewährt, und wir haben uns alle daran gewöhnt. Wir möchten kein eigenes Auto mehr besitzen, sind im Alltag hauptsächlich mit dem Fahrrad unterwegs und kommen mit den Öffentlichen und mit Carsharing sehr gut klar. Auch in unserem Umfeld ist die Skepsis gewichen, die Fragen und Kommentare sind jetzt andere: Welchen Fahrzeugtyp habt ihr genutzt? Ihr seid sogar elektrisch gefahren? Reicht der Akku und müsst ihr jetzt laden?“ Und unser Beispiel schlägt Wellen: Familienangehörige aus Esslingen waren mehrere Monate lang mit Leih-Autos und Pedelecs mobil, bis ein neuer Job doch wieder ein eigenes Fahrzeug erforderte. Auch Freunde aus Karlsruhe, die immerhin mit zwei kleinen Kindern und dem entsprechenden Gepäck unterwegs sind, schwören nun auf das Teilen von Fahrzeugen. All diese Erfahrungen sorgen immer wieder für heiteren Gesprächsstoff!
Ein Loblied auf das Deutschlandticket
Betrachten wir unseren aktuellen Mobilitätsmix, gibt es darin einen wahren Game-Changer: das Deutschlandticket! Zuerst für 9 Euro, dann für 49 Euro pro Monat im Regionalverkehr in ganz Deutschland zu reisen, war unschlagbar. Und Tübingerinnen und Tübinger zahlten dank städtischer Unterstützung sogar nur 34 Euro für das reguläre Monatsabo – darüber wurde viel berichtet. 2025 bleibt das D-Ticket trotz klammer Kassen erhalten, zu 58 Euro bundesweit und zu 45 Euro bei uns in Tübingen. Und nutze ich es als Jobticket, übernehmen die swt 25 Prozent davon.
Dieses Ticket ist für mich ein riesengroßer Gewinn. Im Alltag nehme ich seither häufiger den TüBus, lasse das Rad auch mal stehen oder fahre nach Feierabend mal nach Stuttgart. Und auch in Hamburg oder München einfach einsteigen zu können, ohne über „Waben“, Verbundgrenzen und Ticket-Apps nachdenken zu müssen, ist genial! Eine längere Reise ausschließlich mit dem Deutschlandticket (in Regionalzügen) habe ich bisher allerdings nur einmal ausprobiert. Fast sieben Stunden bis ins bayerische Ruhpolding und viermaliges Umsteigen waren ganz schön anstrengend. Aber für Sparfüchse mit viel Zeit ist das dennoch eine Option. Ideen für Ausflugsziele gibt es viele, unter anderem bei HomeofTravel oder Reisetopia.
Mein Mann hingegen, der mehrmals die Woche beruflich nach Stuttgart pendelt, könnte bald ein Buch über seine Bahnabenteuer auf dieser problematischen Zugstrecke schreiben. Oft sind die Anschlüsse unzuverlässig und verspätet, morgens wie abends, aufgrund zig verschiedener Probleme. Da war ihm in den Sommerferien der regelmäßige und direkte Schienenersatzverkehr sogar lieber.
Mein Tipp für alle, die eine gute Verbindung suchen, die zeitaufwendiges Umsteigen mit der Bahn vermeiden wollen: Einfach mal bei FlixBus checken. Egal ob nach Freiburg oder über München nach Salzburg – die Anbindung unserer Uni-Stadt in alle Himmelsrichtungen ist engmaschig und nicht teuer – eine richtig gute Ergänzung! Richtig mies hingegen ist die Anbindung abends mit dem Regionalzug MEX, beispielsweise von Wendlingen nach Tübingen. Im Dezember saß ich nach einem Weihnachtsmarktbesuch nachts allein über eine Stunde lang bei Regen am dunklen Gleis. Nirgends kann man sich dort aufwärmen und wohlfühlen, bis endlich der nächste, ewig verspätete Zug kommt.
Laut Fahrplan kommt ein Bus
Auch erfreulich: Beim landkreisübergreifenden ÖPNV tut sich was. Vor zwei Jahren habe ich beschrieben, wie wir sogar mal zu Fuß nach Walddorfhäslach im Landkreis Reutlingen gelaufen sind, um dort einen Besuch abzustatten. Jetzt gibt es montags bis freitags eine stündliche Busverbindung. Endlich! Ein Wermutstropfen bleibt: Der Direktbus fährt weder am Abend noch am Wochenende. Und vorerst nur im Probebetrieb – ich hoffe die Gelder dafür werden nicht gekürzt. Doch wie mir die Walddorfhäslacher berichten, läuft es nicht gerade rund: Immer wieder fallen Fahrten ohne Angabe von Gründen aus. So wird es wahrscheinlich schwer, gute Fahrgastzahlen zu erreichen.
Wir grooven uns ein – mit noch mehr Carsharing
Ihr fragt euch, was sich sonst so bei uns verändert hat? Das sind zwei wesentliche Punkte: Erstens haben wir jetzt zwei Gäste-Fahrräder angeschafft, damit wir auch mit unseren Patenkindern oder Freundinnen und Freunden flexibel und umweltfreundlich in der Stadt unterwegs sein können. Das macht gemeinsame Unternehmungen deutlich unkomplizierter. Zweitens setzen wir trotz Deutschlandticket vermehrt auf die Carsharing-Angebote von COONO und TeilAuto. Tübingen liegt übrigens bei der Anzahl der Sharing-Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner im aktuellen Städteranking bundesweit auf Platz 9, direkt hinter Großstädten wie Düsseldorf und Köln!
Was uns betrifft: Wir setzen jetzt auch auf größere Fahrzeuge mit Anhängerkupplung. Der Grund dafür ist unser neuer Garten in 30 Kilometern Entfernung. Abends mit dem Leihauto zum Gießen zu fahren, wäre zu kostspielig mit 40 bis 50 Euro pro Ausflug. Aber Hecken, Obst-Bäume und Hüttle machen Arbeit und verlangen nach klassischen Wochenend-Fahrten: Mit einem TeilAuto und geliehenem Anhänger geht’s ab zum Häckselplatz. Und im Herbst haben wir eine kleine Apfelernte heimgebracht. Trotz dieser zusätzlichen Fahrten bleibt es dabei: Ein eigenes Auto lohnt sich nicht. Wir liegen weiterhin unter den etwa 7.000 Kilometern pro Jahr, ab denen das Sinn macht.
Mit TeilAuto läufts gut bei uns
An das Carsharing mit TeilAuto haben wir uns inzwischen gut gewöhnt und mögen es wirklich – auch wenn es in der Regel Verbrenner-Fahrzeuge sind. Über die bundesweit gültige App „Carsharing Deutschland“ buchen wir ein Auto, reservieren es, holen es ab und verlängern flexibel, wenn keine Folgefahrten geplant sind. Bisher hat das immer reibungslos funktioniert, über 100 Fahrten können wir seit Herbst 2021 aufweisen. Dank der vielen Leihautos in der Tübinger Innenstadt haben wir immer ein verfügbares gefunden, mal näher an unserem Zuhause, mal weiter weg. Die Kombination aus Zeit- und Kilometertarif ist für unsere meist kürzeren Fahrten tatsächlich die attraktivste Variante. (Die 12 Euro monatliche Grundgebühr schon eingerechnet.)
TeilAuto | COONO | |
Anzahl Buchungen seit Herbst 2021 | 109 | 6 |
Zurückgelegte Strecke in knapp 3 Jahren | 6.800 Kilometer | 1.266 Kilometer |
Durchschnittlicher Mietzeitraum pro Fahrt | 7,5 Stunden | 24 Stunden Tagespauschale |
Durchschnittliche Strecke pro Fahrt | 62 Kilometer | 211 Kilometer |
Durchschnittliche Kosten pro Fahrt | 40 Euro | 81 Euro * |
Grundgebühr für Mitgliedschaft | 12 Euro im Monat | keine |
* ohne Vorab-Reservierung! (mit COONO 2 RENT läge der Tagestarif selbst in der Kategorie S höher: 73 € statt 65 €)
Oder doch lieber E-Fahrspaß mit COONO?
Unser Stadtwerke-eigenes Carsharing Angebot COONO darf hier nicht fehlen: Auch das nutzen wir hin und wieder. Die inzwischen 40 Leihautos unterschiedlicher Klassen fahren alle elektrisch mit Ökostrom. Man kann sie mittlerweile vorab reservieren und einige sogar mit dem neuen Free-Floating-Konzept flexibel überall abstellen. Linda hat das für unseren Blog ja kürzlich ausgiebig getestet.
Für uns ist COONO („CO2 NO“) eine gute Ergänzung zu TeilAuto. Der Vergleich lohnt sich, auch wenn TeilAuto für mich meist günstiger kommt. Sobald wir Tagesfahrten ab 150 Kilometern planen, hat COONO preislich die Nase vorn. Pro Minute zahle ich 0,34 Euro, auch wenn ich an der Ladesäule warte. Für 24 Stunden, inklusive 200 Kilometern, im Renault Zoe zahlen wir mit COONO 2 GO eine Tagespauschale von 65 Euro (ohne Vorabreservierung). Das entspricht gut drei Stunden Fahrt. Im Sommer haben wir es mal ohne Zwischenladung von Tübingen an den Bodensee und wieder zurückgeschafft – quer über die Alb, um unnötige Kilometer auf der Autobahn zu vermeiden. Am Ende des Tages hatten wir noch 35 Prozent Akkuladung übrig, waren 266 km gefahren, 16 Stunden unterwegs und haben insgesamt 81,50 Euro ausgegeben. Die Sonne schien, es war herrlich, und der Bodensee ist ohnehin immer einen Ausflug wert!
Urlaub mal mit, mal ohne Auto
Soweit zum Alltag. Urlaube sind wieder etwas anderes … Auch da haben wir in den letzten Jahren einige Mobilitäts-Varianten ausprobiert:
- Französische Alpen ohne Bahnanschluss: Für eine Woche Besuch bei Schwester und Schwager in einem abgelegenen Bergdorf, 500 Kilometer entfernt, war Europcar die günstigste Option. Auch ein Urlaub mit fünf Reisestopps (Zeeland in Niederlanden, Köln, Westerwald, Vogesen und Bodensee) war einfach ultrapraktisch mit Europcar.
- Zweimal Skandinavien per Zug: Nach unseren E-Auto-Erfahrungen mit Flug-Anreise nach Norwegen haben wir Skandinavien noch zweimal mit dem Zug und Interrail-Ticket erkundet. Eine Reise führte uns bis nach Lappland nördlich des Polarkreises. Die schwedische Bahn brachte uns im Nachtzug ans Ziel. Das andere Mal waren neben dänischen, schwedischen und norwegischen Bahnfahrten auch zwei Fährüberfahrten dabei. Der Planungsaufwand mit verschiedenen Sitzplatzreservierungen bei diversen Zuganbietern war enorm. Das Reisen selbst aber ein Traum und sehr entspannt.
- Spontanreise mit dem PKW: Einmal haben wir auch das Angebot der Schwiegereltern angenommen und ihr Auto für eine Fahrt ins französische Bergdorf geliehen.
Alles in allem waren wir doch sehr flexibel bei der Urlaubsplanung, auch ohne ein eigenes Auto.
Wir machen so weiter
Im Rückblick muss ich sagen: die dreieinhalb Jahre ohne eigenes Auto sind im Nu vergangen! Ein Leben ohne eigenes Auto ist nicht nur möglich, sondern in vielen Fällen stressfreier und umweltfreundlicher. Jedenfalls wenn man wie wir im Stadtzentrum wohnt. Es erfordert ein gewisses Maß an Planung und Flexibilität, aber die Vorteile überwiegen für mich. Ich bin ehrlich dankbar für die zahlreichen Möglichkeiten, die uns in Tübingen zur Verfügung stehen und sich ständig weiterentwickeln: vom günstigen Deutschlandticket über Carsharing bis zum engmaschigen TüBus-Netz und immer mehr E-Bussen.
Neu im Städtle ist nun eine App für Mitfahrgelegenheiten. Wer schon Teil 1 gelesen hat, erinnert sich vielleicht: Ich verwende einige Mobilitäts-Apps. Neu ist die die „WohinDuWillst“-App fürs Deutschlandticket. Und jetzt gibt es „RideBee“, einen Tübinger Neuling, eine Mitfahrplattform für Autopendler innerhalb Tübingens, initiiert von der Stadtverwaltung. Die Vermittlung ist kostenlos, wer andere mitnimmt, kann aber Geld verlangen. Bisher hat das im Kollegenkreis leider noch niemand ausprobiert. Klingt nach einer guten Idee, ich bin gespannt wie viele „Matches“ sich dadurch ergeben werden.
Meine Hoffnung ist, dass immer mehr Menschen den Schritt wagen, kein eigenes Fahrzeug mehr zu unterhalten. Wer in der Stadt wohnt und nicht zwingend darauf angewiesen ist, hat so viele Alternativen! Vielleicht setzt ihr ja gute Vorsätze fürs neue Jahr um? Der Weg hin zu einer Stadt mit weniger Privat-PKWs auf den Straßen ist sicher nicht einfach, aber er lohnt sich. Fürs Klima, fürs Stadtbild, auch für den Geldbeutel. Probiert es doch einfach mal aus! Leiht einen COONO, verreist mit D-Ticket oder bucht den FlixBus – und seid nachhaltig mobil!
Teilt gerne eure eigenen Erfahrungen mit uns – sei es im Alltag, bei Ausflügen oder im Urlaub. Seid ihr bereit, auf euer eigenes Auto zu verzichten oder habt ihr diesen Schritt bereits gemacht?
Zu anderen Mobilitäts-Geschichten kommt ihr gleich hier!
Falls Ihr Teil 1 nachlesen wollt: Ein Leben ohne – ErFAHRungen einer autofreien Tübingerin