Wie öko ist Ökostrom?

Wer so richtig was auf sich hält, gibt sich nicht mit ein bisschen öko zufrieden. Bio vom Discounter? Freitags vegan, sonntags Schnitzel? Avocado zur regionalen Hafermilch? Kommt ja gar nicht in Frage! Der Prototübinger macht ernst in Sachen öko. Und wenn Ökostrom, dann natürlich von einem „echten Ökostromanbieter“, so richtig schön grün fürs Ökogewissen. Klingt fantastisch. Nicht immer, aber manchmal ist das schlicht falsch.  

Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima im März 2011 war der Schrei nach dem Atomausstieg laut. Und obwohl Atomstrom nicht unmittelbar klimaschädlich ist, war Ökostrom plötzlich ein Thema, über das man beim Kaffee mit Freunden gesprochen hat. „Spätestens jetzt sollten die Leut‘ doch aufwachen und wechseln“, tönte es an Mutters Kaffeetafel, Ökostrom samt passendem Lieferant war zum Thema geworden.

Schon seit 2011 ist das Bewusstsein für sauberen Strom gewachsen, mit der Bewegung „Fridays for Future“ hat das Thema nochmal deutlich an Fahrt aufgenommen.

„Atomkraft, nein danke“
Wer ein richtiges Statement setzen wollte, pappte den „Atomkraft, nein danke“-Aufkleber, den die Eltern schon 68 auf der Ente spazieren fuhren, auf den nagelneuen T6. Gleich neben „Corsica Ferries“ und „Malte-Benjamin und Carla-Constanze an Board“.

Nach ein paar Wochen – der erste Schreck war verklungen – war man sich einig und setzte noch einen drauf: „Wir haben jetzt sofort zu einem richtigen Ökostromanbieter gewechselt. Wenn schon, denn schon. Sonst hilft’s ja nix.“ Stammtisch 2.0 in Tübingen.

Grüner Strom mit schwarzer Seele
Es ist ketzerisch, ich weiß. Denn genau diesen Impuls haben wir alle gebraucht, um unseren Energiewende-Anstrengungen mehr Nachdruck zu verleihen. Worum geht es also? Es geht um die Frage, was guten Ökostrom ausmacht. Kann Ökostrom auch grün angestrichen werden? Quasi sauberer Strom mit schwarzer Seele? Ganz so einfach ist das heute nicht mehr, seit 2016 hat sich einiges getan. Und doch sind viele Ökostromtarife lediglich Produkte eines geschickten Zertifikatshandels, auch unter dem Begriff Herkunftsnachweis (un-)bekannt. Wir versuchen das mal mit einfachen Worten zu erklären:
 
Es gibt in der EU die Regel, dass die Herkunft von Ökostrom gekennzeichnet werden muss. Jedes Land hat ein Herkunftsnachweisregister, in Deutschland verantwortet das das Umweltbundesamt. Für erzeugten Ökostrom bekommt der Erzeuger ein Zertifikat, den Herkunftsnachweis. Diesen Nachweis kann er europaweit verkaufen. Der Käufer darf Ökostrom in der Menge, in der er Herkunftsnachweise erworben hat, wiederum an seine Kunden verkaufen.

„Für verkauften Ökostrom müssen in entsprechender Menge Herkunftsnachweise entwertet werden.“ (Quelle: Umweltbundesamt)

Das Herkunftsnachweisregister stellt damit sicher, dass jede Kilowattstunde Ökostrom, die ein Verbraucher bezahlt auch tatsächlich irgendwo in Europa erzeugt wird. Es heißt aber nicht, dass diese Strommenge auch tatsächlich von dem Anbieter erzeugt wurde, von dem ich den Strom beziehe. Das ist erstmal nicht schlimm, wichtig ist ja, dass der Anteil an Ökostrom im Strommix weiter steigt. Es bedeutet aber auch, dass Stromanbieter ausschließlich Ökostrom an ihre Kunden verkaufen können, ohne eine einzige Kilowattstunde Ökostrom zu erzeugen. Berechtigter Einwand aus dem Kollegenkreis: Ein Buchhändler verkauft auch Bücher, die er nicht geschrieben hat.
 
Was ist „guter Ökostrom“?
Aber was macht denn dann guten Ökostrom aus? Und was ist überhaupt „guter Ökostrom“? Anders als etwa bei Lebensmitteln oder bei Technikgeräten lassen sich beim Strom ja keine Qualitätsunterschiede feststellen. Die gibt es schlicht nicht. Und trotzdem behaupten wir: Ökostrom ist nicht gleich Ökostrom. Oder vielmehr: Ökostrom-Anbieter ist nicht gleich Ökostrom-Anbieter. „Ha, guter Ökostrom ist halt Strom, der nicht im Atomkraft- oder Kohlekraftwerk g’macht wird.“ Klar, die Expertenrunde ist sich da einig. Aber wer „macht“ diesen Strom? Schweigen im Walde. Und ein kleiner Riss in der heilen Öko-Fassade.

ÖKOTEST untersucht guten Ökostrom
In der Januar-Ausgabe des Magazins ÖKOTEST geht es genau darum: „Wie viel Grün steckt im Ökostrom“ lautet der Titel. Bei der Frage nach den besten Anbietern analysiert ÖKOTEST, ob ein Ökostrom-Produkt „zum zusätzlichen Ausbau der erneuerbaren Energien“ beiträgt. Kommen wir nochmal auf den Herkunftsnachweis zurück: Ein Ökostrom-Anbieter, der Strom als Ware handelt, diese Ware aber nicht selbst produziert, trägt nicht sehr viel zum Ausbau der Erneuerbaren Energien vor Ort bei. Lasst mich einen Vergleich wagen: Der Discounter verkauft Bio-Eier. Diese Eier haben ein Öko-Siegel, das europaweit gültig ist. Es sind also nachweislich ökologisch erzeugte Eier. Diese haben fleißige Hühner beispielsweise in den Niederlanden gelegt. Auf Haltung der Tiere, Transportwege und Discounter im Allgemeinen möchte ich gar nicht eingehen, das ist hier nicht das Thema. Ich frage aber: Was tun diese Eier für die Stärkung der regionalen Landwirtschaft, für den Umbau einer konventionellen hin zur ökologischen Tierhaltung vor Ort?

Energiewende vor Ort
Natürlich können wir jetzt europäisch argumentieren und entgegnen: Egal wo in der EU, Hauptsache das Huhn legt ein Bio-Ei. Oder der Solarpark in Polen erzeugt Ökostrom. Jein. Ich würde mal sagen: Lieber Ökostrom aus Polen als Atom- oder Kohlestrom aus Frankreich. Aber am besten ist Ökostrom dann, wenn die Erlöse aus dem Verkauf von Ökostrom an den Endkunden zumindest teilweise in den Ausbau der erneuerbaren Energien fließen. Oder zumindest an anderer Stelle etwas für den Umwelt- und Naturschutz oder fürs Klima tun. Das tun sie nicht, wenn sich ein Unternehmen auf den Vertrieb beschränkt. Dann nämlich wandern die Erlöse möglicherweise in die Taschen von Aktionären oder – noch schlimmer – werden zweckfremd reinvestiert, schlimmstenfalls in den Bau neuer Kohlekraftwerke im Ausland.

Das ist ein Worst-Case-Szenarium, ja. Und doch sollte ich mir bei der Wahl meines Ökostromanbieters genau eine Frage stellen: Wie gut ist dieser Ökostrom und wie nachhaltig zahlt er aufs Konto „Energiewende“ ein? „Absolut richtig, das haben wir bisher nicht bedacht“, heißt es nun beim Viertele auf der Terrasse. „Wir müssen reden.“

Guter Strommix für alle und noch mehr Ökostrom-Kunden
Wo stehen wir, die Stadtwerke Tübingen, bei dieser Betrachtung? Wir sind kein reiner Ökostromanbieter. Könnten wir sein, wenn wir die entsprechende Menge an Herkunftsnachweisen zukaufen würden. Das tun wir aus zwei Gründen nicht: Zum einen, weil wir unsere Erlöse in den Ausbau der Erneuerbaren Energien stecken – Taten statt Worte sozusagen. Zum anderen möchten wir unsere Kundinnen und Kunden von unserer Vorgehensweise überzeugen und sie dann aber selbst über ihren Strom entscheiden lassen. Unser Strommix ist heute schon sehr viel grüner, als der Branchendurchschnitt. Das liegt daran, dass wir seit Jahren unsere Eigenerzeugung massiv ausbauen, also aktiv die Menge an ökologisch erzeugtem Strom in Deutschland erhöhen.

In Zahlen:
Unser Ausbauziel lautet: Wir wollen bis 2024 insgesamt 300 GWh in eigenen Anlagen erzeugen. Das entspricht 75 Prozent des gesamten Tübinger Strombedarfs. Derzeit sind es rund 64,7 Prozent. Insgesamt sind das etwa 260 Gigawattstunden Ökostrom aus eigenen Anlagen.

Und dann ist da noch was anderes, das auf Vergleichsportalen oder in Studien kaum Beachtung findet: Wir finanzieren mit den Erlösen aus unserem Ökostrom regionale Umwelt- und Klimaschutzprojekte, wir finanzieren Ökostrom-Erzeugungsanlagen, bauen die E-Mobilität aus, betreiben Fahrzeug-Sharing, realisieren ökologische Fernwärme. So – das ist für uns richtig guter Ökostrom. Auch wenn wir uns keinen grün-klingenden Namen zugelegt und keine Blümchen im Logo haben. „Das hat mich dann doch überzeugt“, sagt da einer der Clique. Klimaschutz global und Naturschutz vor der Haustür – das ist eine Kombination, bei der die Tü-Connection leuchtende Augen bekommt. Uns eingeschlossen.

Auch dafür geben wir Geld aus den Ökostrom-Erlösen aus: Für den swt-Umweltpreis, bei dem die Bevölkerung entscheidet, welche Umwelt- und Klimaschutzprojekte gefördert werden.

In einer Reihe mit den Öko-Strebern
Wir sind in der Branche damit nicht der einzige Ökostromanbieter, der seine Aufgabe so ernst nimmt – GOTTSEIDANK. Sonst wäre die Energiewende nämlich in ganz weiter Ferne. Wir stehen vielmehr in einer Reihe mit echten Überzeugungstätern, darunter kommunale Stadtwerke und renommierte Ökostrom-Anbieter, die eine tolle Arbeit machen und die Vision von der Energiewende auch wirklich leben. Klar wünschen wir uns, dass Euch unsere Argumente und unser Engagement für den Klimaschutz überzeugen und Ihr noch heute einen TüStrom-Natur-Vertrag bei uns abschließt. (Wir wollen ja auch leben…) In erster Linie geht es uns aber darum: Schaut genau hin, lasst Euch nicht vom grünen Deckmantel täuschen und scheut Euch nicht vor einem Wechsel. Das Gute liegt manchmal direkt vor der Haustür und trägt nicht zwangsläufig einen grünen Superhelden-Umhang.

Gleich weiterlesen? Hier geht’s zu unseren Beiträgen über Klimaschutz im Alltag

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