Wir haben mal wieder ein Jubiläum feiern dürfen und Anfang November zum „Badespaß-Tag“ ins Hallenbad Nord eingeladen. Denn vor 50 Jahren, im Sommer 1974, wurde Tübingens zweites Hallenbad eröffnet. Vielleicht kennt ihr es? So unspektakulär der funktionale Fertigbau auch ist – er war ein Meilenstein in Tübingens Bädergeschichte. Und ist bis heute ein Lieblingsort für Schwimm- und Saunabegeisterte, für Schul- und Vereinssport. Jahrzehntelang wurde das Bad herbeigesehnt, mit allen Finessen geplant, doch dann so zusammengestrichen und „ausgepresst“, dass es den Spitznamen „Zitronenbad“ erhielt.
Dieser Geschichte will ich auf den Grund gehen. Im Kollegenkreis, in unserem swt-Archiv und im Stadtarchiv habe ich mich auf Recherche begeben, alte Sitzungsprotokolle und Pläne gesichtet und Spannendes zutage gefördert. Und – was soll ich sagen – vieles erinnert mich stark an sehr aktuelle Diskussionen …
Doch beginnen wir von vorn (und vorab: Sorry für die vielen Jahreszahlen im nun folgenden Zeitraffer). Kaum ist 1951 das Freibad eröffnet, wünschen sich die Tübingerinnen und Tübinger ein zweites Hallenbad. Tatsächlich platzt das kleine Uhlandbad in der Wirtschaftswunderzeit aus allen Nähten. In zehn Jahren verdreifacht sich dort die Besucherzahl. Soll man es erweitern oder ganz neu bauen? Darüber wird im Gemeinderat heftig diskutiert. 1959 spricht der sich für ein neues Bad an anderer Stelle aus. Das lässt allerdings auf sich warten. Inzwischen drängen im Rekordjahr 1965 unglaubliche 263.000 Gäste ins kleine Uhlandbad!
Der lange Weg zum Hallenbad Nord
Ideen gegen das „Bäderproblem“ gibt es massenweise. Schon damals – wir sind nun im Jahr 1969 – kommt ein Standort beim Freibadgelände in die engere Wahl für ein kombiniertes Hallen-Freibad mit verschiebbarem „Teleskopdach“. Die Schwierigkeit: Das Tübinger Freibad wird zu der Zeit noch gar nicht beheizt! Der Werksausschuss berechnet die Betriebskosten, unternimmt Exkursionen nach Dillingen/Saar und Saarlouis, wo es solche Bäder gibt, lässt sich in Essen und Wuppertal beraten. Vertreter der Stahlbaufirma führen im Rathaus ein Modell des Glasschiebedaches vor, das offenbar die Augen des damaligen Oberbürgermeisters Hans Gmelin leuchten lässt: „Wie Vater an Weihnachten (…) beim Anblick der Modelleisenbahn seines Sohnes“, schreibt das Tagblatt am 10. Oktober 1969. „Unverzüglich“ will Gmelin mit der Planung des „Allwetterbades“ beginnen, doch es kommt anders:
Im Februar 1970 berät man erneut über den Standort: Tatsächlich beim Freibad? Bei der Hermann-Hepper-Halle? Im Alten Botanischen Garten? Oder auf Waldhäuser Ost (WHO) im Norden der Stadt? Da entsteht gerade auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz eine moderne „Trabantenstadt“ mit Wohnungen, Studentenwohnheimen, Schulen, Einkaufszentrum. Ein Jugendhaus und eine Bibliothek sind in Planung, auch ein Hotel, ein Theater und ein Aussichtscafé wünscht man sich. Auf WHO wäre ein Hallenbad sofort zu realisieren, sehr gut erreichbar und würde zudem das Wohngebiet aufwerten. Und so fällt im März 1970 der Beschlussfür WHO. Man rechnet mit einer Investition von 3,5 Millionen DM und hätte das Projekt gern direkt vergeben – bis die Tübinger Architektenkammer einen Wettbewerb durchsetzt. Der verzögert die Sache abermals. Die scharfen Rededuelle im Gemeinderat über den „Schwimmnotstand“ lese in den Akten nach.
Ausgepresst: Das Zitronenbad 🍋
Viele Ideen für den neuen Stadtteil werden bald wieder verworfen. Investoren ziehen sich zurück, die finanziellen Mittel schrumpfen. Was bleibt, sind die Pläne fürs Hallenbad Nord. Und auch die werden immer bescheidener, immer mehr zusammengestrichen und ausgepresst. So entsteht der Spitzname „Zitronenbad“, den ich auch auf den Originalplänen wiederfinde.
Im Oktober 1970 kürt das Preisgericht die Tübinger Architektengruppe Hauser/Berger/Oed zum Sieger. Kleiner Schönheitsfehler: Dieses Bad würde fast 10 Millionen DM kosten! Ausgeschlossen! Und so beginnt ein schmerzliches Streichkonzert: Gestrichen werden nach und nach die Bücherei, das Jugendhaus, eine Zuschauertribüne, Tischtennis-, Billard- und Gymnastikräume.
Ich liste das mal kurz auf:
März 1971 1. reduzierter Entwurf: 7,6 Mio.DM
April 1971 2. reduzierter Entwurf: 5,6 Mio. DM
Juli 1971 3. reduzierter Entwurf: 5,25 Mio. DM
Februar 1972 4. reduzierter Entwurf: 4,8 Mio. DM
In vier Etappen reduzierten die Architekten ihren Entwurf bis auf 4,8 Millionen DM. Doch die letzten Streichungen gehen wirklich zu weit. Denn neben dem Café sollen die Architekten auch das Kinderplanschbecken, den Hubboden im Lehrschwimmbecken und die Sprungbretter weglassen, die Beckentiefe und die Raumhöhe reduzieren. Man hätte gar keine sportgerechte Anlage mehr!
Die Finanzierungs-Diskussion reißt nicht ab, Leserbriefe und Bürgerversammlungen fordern eine rasche Entscheidung. Die Notlösung heißt Fertigbau! Ein schlüsselfertiges Schwimmbad der Stuttgarter Firma Züblin. Mit ordentlicher Beckentiefe, mit Hubboden und kleinem Planschbecken – für 4,08 Millionen DM. Im Juli 1972 ist man sich einig. Im Bundeswehr-Hallenbad in Stetten überzeugen sich Vertreter von Hochbauamt und Stadtwerken von der Qualität. Im November fällt der Baubeschluss, Züblin bekommt den Auftrag.
Die Ausschachtung beginnt im März 1973. Im Mai schrieben die Stadtwerke Stellen aus („Kassiertätigkeit auch für Hausfrauen geeignet“). Im August sind die Betonarbeiten fertig. Im Oktober wird Richtfest gefeiert.
Der pragmatische Name „Nordbad“ geht tatsächlich auf den OB zurück, der „auf irgendwelche Dichternamen“ keinen Wert legt, sondern lieber „den Gedanken an ein eventuelles Süd- oder Westbad wecken“ möchte.
Die Eröffnung
Am 11. Juni 1974 öffnet das funkelnagelneue, schicke Nordbad seine Pforten. 4,25 Millionen DM hat es schließlich gekostet. Zur Eröffnung kommen rund 60 geladene Gäste, von der Stadt und beteiligten Firmen, von Vereinen, Schulen und DLRG. Auf der Einladungsliste finde ich prominente Namen: den 1. Bürgermeister Albrecht Kroymann (älterer Bruder der Kabarettistin Maren Kroymann), die Ehrenbürgerin Paula Zundel (Stifterin der Kunsthalle), Gerhard Rösch (der Bademoden-Produzent hat kurz zuvor sein eigenes Werksbad eröffnet!) und Peter Kemmler (der 15.000 DM fürs Hallenbad gespendet hat).
„Ein langgehegter Traum wird wahr“, sagt Oberbürgermeister Hans Gmelin in seiner Ansprache – man sei aber nicht am Ende aller Wünsche: „Mindestens noch ein drittes Hallenbad“ werde man in Tübingen noch brauchen. Eine sehr optimistische Prognose für unsere Bäderlandschaft! Das ist jetzt 50 Jahre her und immer noch Zukunftsmusik …
Beim Wettschwimmen – erst für Damen, dann für Herren – treten Stadtverwaltung, Stadtwerke, Südwestpresse und die Firmen Züblin und Rösch gegeneinander an. Die Herrenstaffel führt der OB persönlich an, auch Stadträte schwimmen mit. Es gibt Vorführungen von Schwimmverein und Kunstspringern, Besichtigungen und einen Stehimbiss mit „Butterbrezeln, Limo und Flaschenbier“. (Vielleicht eine Anregung für unsere nächste Hallenbad-Eröffnung?)
So sah das Hallenbad 1974 aus
Sportbecken, Lehrschwimmbecken, Kinderplanschbecken: Schlicht und funktional ist das Bad, mit Rundum-Sicherheits-Verglasung und – im typischen Look der 70er – einer Holzdecke, die „warme Akzente setzt“, ebenso wie die Eingangshalle mit Teppichboden und Sitzgruppe.
Ausstattung
Sportbecken (25 x 16,66 m und bis zu 3,50 tief)
Lehrschwimmbecken mit verstellbarem Hubboden
Kinderplanschbecken (4 x 5m)
1 m und 3 m Sprungbrett
54 Kabinen, 180 Garderobenschränke, 4 Sammelumkleiden
40 kostenlose Parkplätze
Wäscheschleudern zum Trocknen der Badwäsche
Fußdesinfektionsanlage
Fernwärme vom Heizwerk WHO
Der Eintritt kostet 2 DM (am Warmbadetag 2,50 DM), ermäßigt 1,50 DM. Und der Oberbürgermeister macht klar: „Zu jedem Eintrittspreis, den der Badegast im Hallenbad bezahlt, legt die öffentliche Hand – sprich: der Steuerzahler – dieselbe Summe drauf.“ Tatsächlich wachsen mit dem Neubau die nötigen Bäder-Zuschüsse auf rund 1 Millionen DM pro Jahr. Ein Schwimmbad ist für eine Stadt ja immer ein Verlustbringer. (Heutzutage beträgt das jährliche Bäder-Defizit übrigens rund 4,5 Millionen Euro, die Stadtwerke subventionieren jeden Badeeintritt mit mehr als 8 Euro!)
Parallel zum Neubau hat die Stadt das Uhlandbad saniert, das 1974 runderneuert dasteht: von der Technik bis zur schallhemmenden Decke. Dafür muss das Wannenbad Lustnau in der Dorfackerschule schließen – doch das betrifft nur noch wenige (und ist eine andere Geschichte).
Schnell wird das Hallenbad Nord beliebt. Nicht nur bei den 3.000 Menschen, die damals bereits auf WHO wohnen. Gäste kamen auch von weit außerhalb. Schulen und Vereine nutzen es von Beginn an rege, auch Familien kommen gern.
Schöne neue Bade-Welt
Die Leitung des Nordbads übernimmt der Schwimm- und Mechanikermeister Wolfgang Lansche. Mit ihm wechseln einige Mitarbeiter vom Uhlandbad hierher. Zum Beispiel Erich Lober, unserer späterer Freibadchef. Er erinnert sich noch gut an die Eröffnung:
„Da war was los! Die ganze Prominenz. Wir Mitarbeiter waren als Versuchskaninchen als erstes im neuen Bad geschwommen – der Stadtwerke-Bauleiter Rilling wollte, dass wir das Wasser testen, da man sich wegen der Chlorierung nicht so ganz sicher war.
Von Anfang an war es immer voll. Vor allem junge Leute kamen jetzt lieber hierher – auch wegen der Sprungbretter. Es war ja geradezu riesig gegenüber dem Uhlandbad und alles neu. Die moderne Technik mit all den DIN-Normen war eine Umstellung für uns Mitarbeiter. Man musste schon sehr aufpassen. Und drumherum war erstmal noch kein bisschen Grün, sondern Baustellen.
Für die Gäste gab es noch die Fußspray-Anlage zum Desinfizieren, wo sich später herausstellte, dass das rein gar nichts nützte. Und die Bademützenpflicht – auch bei den Männern waren ja lange Haare in Mode. Was haben wir da rumdiskutiert! Später hatten wir Sonnenduschen. Da warf man 2 DM rein für 10 Minuten Bräunen.
Es war die Zeit der „Trimm dich-Bewegung“, da haben auch wir immer mehr Kurse angeboten, Schwangeren-Schwimmen zum Beispiel. Am Warmbadetag haben wir zu jeder vollen Stunde Wassergymnastik angeleitet – meistens für ältere Damen. Sehr bald wurde morgens dann ab 6 Uhr geöffnet, und es hat sich ein Stamm von Frühschwimmern herausgebildet, die vor der Arbeit – und vor den Schulklassen – herkamen. Das ist bis heute so. Ich erinnere mich gern an viele treue Gäste. Und an den Sonntags-Badespaß in den 90er-Jahren, als wir Wasserrutschen am 3-Meter-Turm befestigt haben. Das war eine schöne Zeit!“
Der Zahn der Zeit nagt …
Auch an der Bausubstanz. Immer wieder sind Instandsetzungen nötig. 2010 beschließen Stadt und Stadtwerke, das Hallenbad Nord als Standort zu erhalten. 2012 bekommt es eine neue Lüftungsanlage, für die aufwendige Stahlbauarbeiten nötig sind.
Als 2018 Risse im Spannbeton entdeckt werden, beginnt die langwierige Sanierung der Hallendecke. Zweimal muss das Bad für Monate geschlossen bleiben, um Dachträger und Stahlkonsolen zu sichern. Kurz nach der Wiedereröffnung im Februar 2020 stehen die Corona-Schließungen bevor … Eine lange Durststrecke für unsere Hallenbad-Fans. Doch 2023 schwammen hier wieder 180.000 Gäste.
Wie geht es weiter mit dem Hallenbad Nord?
Das ist derzeit offen. Für etwa zehn Jahre haben die Stadtwerke das Gebäude mit der letzten Sanierung ertüchtigt – bis dahin könnte das geplante neue 50-Meter-Hallenbad neben dem Freibad realisiert sein. Auch dessen Vorgeschichte reicht recht weit zurück, 2022 entschied der Gemeinderat dafür, vor Kurzem hat der Architektenwettbewerb stattgefunden. Ob auch dieses Projekt ein Zitronenbad wird … oder ein Orangen- oder Grapefruit-Bad? 🍋🍊 Wir dürfen gespannt sein! 😉
Was verbindet ihr mit dem Hallenbad Nord? Schreibt es uns!
Die Autorin
lernte in den 1970er-Jahren im Mainzer Taubertsbergbad schwimmen, das damals ganz ähnlich aussah wie das Nordbad. Inzwischen ist sie in der Generation der Aquafitness-Fans angekommen.
Von der Vorgeschichte – von Badehäuschen am Neckar, vom eleganten Ludwigsbad und davon, wie es zum Uhlandbad kam, lest ihr hier!