Wie sich doch die Sehgewohnheiten und Schamgrenzen ändern! Längst vorbei sind die Zeiten, als nackte Haut ein großer Aufreger war. Hotpants und Bauchfrei-Tops gehören zum sommerlichen Straßenbild, und Freizügigkeiten aller Art sind jederzeit nur einen Klick entfernt. Ganz anders war das in den 1950er-Jahren, als eine Reihe kurioser Zwischenfälle unsere Bäder-Mitarbeiter in Schach hielt.
Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders, der Milchbars und des Rock’n’Roll. Petticoats und Caprihosen sind der letzte Schrei, Wespentaille, pushende Mieder und Spitztüten-BHs betonen weibliche Formen – aber nackte Haut ist ein seltener Anblick. Kein Wunder, dass die Tübinger Schwimmbäder auch „Spanner“ anlocken. Und manche wollen mehr sehen, als es selbst die neuartigen Bikinis offenlegen.
Kaum ist das Uhlandbad generalüberholt und die von Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen stark mitgenommenen Umkleidekabinen erneuert, werden diese auch schon beschädigt, verrät uns das Gemeinderatsprotokoll vom 16. Oktober 1950: „Der Vorsitzende teilt mit, außer dem erfreulichen Ansteigen der Besucherzahl im Uhlandbad müsse er die Mitglieder davon in Kenntnis setzen, dass neuerdings irgendwelche Elemente am Werk seien, die das neu hergerichtete Bad wieder verschandeln.“ So seien „verschiedentlich Löcher in die Kabinenwände gebohrt worden.“
Für Gucklöcher rieseln die Späne
Mahnende Aushänge bleiben wirkungslos. Das Löcherbohren entwickelt sich zu einer Art „Volkssport“: Im August 1953 wird der 19-jährige Kaufmannslehrling Eberhard K. auf frischer Tat ertappt: Eine Garderobenfrau hat die Sägespäne rieseln sehen. Die Polizei stellt fest, dass mit dem Bohrer, den man im Schuh des Übeltäters findet, in sieben Zellen jeweils zehn Löcher gebohrt wurden.
Das Hochbauamt macht daraufhin Bestandsaufnahme und meldet am 19. August an die Stadtwerke: „In sämtlichen 64 Umkleidekabinen (des Uhlandbads) wurden insgesamt 320 Bohrlöcher festgestellt.“ 75 Schreinerstunden fallen zur Beseitigung an. Im Freibad wurden 30 Bohrlöcher bis zu 15 mm gezählt. Der minderjährige Lehrling bekommt wegen „regelmäßig verübten Unfugs“ Schwimmverbot und wird vom Amtsgericht verurteilt, pro Loch 1 DM, also insgesamt 70 DM Schadenersatz zu zahlen. Außerdem muss er an vier Nachmittagen die Wannenbäder im Uhlandbad putzen. Abschreckende Wirkung hat das allerdings nicht …
Ermittlungen gegen Heiner F.
So erfahren wir aus den Akten von weiteren Strafverfahren, zum Beispiel im November 1961 gegen den Jurastudenten Heiner F.: Auch er soll Löcher in die Kabinen des Uhlandbads gebohrt haben. Der Student wurde vom Bäderpersonal beim häufigen Wechsel der Kabinen beobachtet, in den Zwischenwänden befanden sich neu gebohrte Löcher, darunter lagen Häufchen frischen Holzmehls. Der Beschuldigte hatte zudem einen „Nageldorn“ (Bohrer) bei sich, der exakt der Größe entsprach. Heiner F. hat allerdings für alles Erklärungen parat: Ihm seien die frischen Löcher ebenfalls aufgefallen, daher habe er in anderen Kabinen nachgesehen, um selbst den Täter zu überführen. Kleinwerkzeug für Fahrradreparaturen habe er immer bei sich – und aufgeregt sei er gewesen, da er gerade aus seinem ersten Staatsexamen gekommen sei. Das Gerichtsverfahren endet nach einem Berufungsverfahren mit Freispruch.
Kein Warten vor der Wechselkabine
Bei der Sanierung des Uhlandbads zehn Jahre darauf ist die Umgestaltung der Umkleiden auf der Galerie eine große Sache: 1963 werden sie in Wechselkabinen mit separaten Garderobenschränken umgebaut. Nicht mehr durchgehend vom Badegast belegt, können sich dort viel mehr Besucher als zuvor umziehen.
Die Entscheidung für das Kabinenmodell hat sich der Gemeinderat nicht leicht gemacht: Eine eingehende Besichtigung der Verhältnisse vor Ort ging ihr voraus, bei etwa 50 Badeanstalten in ganz Deutschland wurden Erkundigungen eingeholt. Die Wahl fällt schließlich auf Kabinen der Bauart Kerapid, die „hygienisch einwandfrei“, gut zu lüften und leicht abwaschbar sind. Die Trennwände sind gefliest – Anbohren unmöglich! Außerdem wird nach Geschlechtern getrennt: Links ziehen sich die Damen um, rechts die Herren. Schrankschlüssel erhält man am neuen Schalter, wo auch Badezutaten ausgegeben, Wertsachen aufbewahrt und die Einhaltung der vorgeschriebenen Badezeit (eine Stunde!) kontrolliert wird. In den 1970er-Jahren werden auch die Umkleiden im Freibad auf praktische Selbstbedienung umgestellt.
Und heute? Statt mit lästigen Kabinenspechten haben unsere Freibadkolleginnen und -kollegen eher damit zu tun, Handykameras und Bluetooth-Lautsprecher im Zaum zu halten. Hightech statt Handbohrer.