Habt ihr euch auch schon einmal gefragt, wie der Strom eigentlich zu euren Steckdosen kommt? Was muss alles passieren, damit er zuverlässig fließt? Und wer macht was für Tübingens sichere Stromversorgung? Darüber berichten wir in einer kleinen Serie und folgen dabei dem Weg des Stroms durch die Stadt. Zum Auftakt besuche ich ein Umspannwerk, zusammen mit den Stadtwerke-Kollegen Felix und Daniel. Mit normalen Haushaltssteckdosen geben sich die beiden gar nicht erst ab. Ihr Einsatzgebiet ist die Hochspannung – tonnenschwere Trafos und Kabel, dick wie Oberarme. Dass man dabei auch Nerven wie Drahtseile braucht, hat sich gezeigt, als das Umspannwerk Waldhäuser vor Kurzem komplett saniert wurde, bei laufendem Betrieb. Kommt mit und entdeckt einen der geheimen Orte Tübingens!
Das Umspannwerk – so spannend, wie der Name sagt?
Ohne Strom läuft fast nichts in unserer modernen Welt. In allen Bereichen unseres Lebens sind wir abhängig von ihm. Kein Wunder, dass bei den Stadtwerken viele Beschäftigte mit der Stromversorgung befasst sind. Meist unauffällig, im Hintergrund. Idealerweise merken die Tübingerinnen und Tübinger gar nichts davon. Nur im Störungsfall kommt der Aufschrei. Und der tritt glücklicherweise nur sehr selten ein.
Wer und was alles hinter unserer sicheren Stromversorgung steckt, möchte ich herausfinden. Vorab muss ich allerdings gestehen: Für mich war Physik immer ein Horrorfach. Daher bin ich den netten Kollegen echt dankbar, dass sie so gut erklären. Die Kollegen, das sind der Ingenieur Felix Bessler und Netzmeister Daniel Kirchhardt, meine Reiseleiter auf dem Weg des Stroms.
Eine Frage der Spannung
Obwohl in Tübingen gar nicht wenig Strom erzeugt wird, kommt der Großteil aus dem überregionalen Netz zu uns. Und legt, bis er die Steckdosen in meiner Wohnung erreicht, einen langen Weg zurück. Zum Beispiel von Windparks im Norden Deutschlands bis nach Baden-Württemberg. Das Stromnetz können wir uns wie das Straßennetz vorstellen: Die Überlandleitungen sind die „Autobahnen“ für große Distanzen. Sie transportieren den Strom mit sehr hoher Spannung, während auf den kleinen „Straßen“ innerhalb einer Stadt die Spannung niedrig ist. Vier Spannungsebenen gibt es, lerne ich – von der Höchstspannung (maximal 380.000 Volt) über die Hoch- und die Mittelspannung bis hinunter zur Niederspannung (400/230 Volt) in meinem Haushalt.
Warum ist das so? „Die Spannungsebenen sorgen dafür, dass beim Transport so wenig Strom wie möglich verloren geht“, erklärt mir Felix. Denn – Achtung Physik! – der Ohm‘sche Widerstand der Leitungen wandelt immer einen Teil der Energie in Verlustwärme um. Je weiter die Strecke und je größer die zu übertragende Leistung, desto größer der Verlust. Doch erhöht man die Spannung, verringert er sich.
Um beim Straßen-Vergleich zu bleiben: die Auf- und Ausfahrten zu den Strom-Autobahnen sind die Umspannwerke. Sie verbinden unterschiedliche Spannungsebenen im Netz miteinander, wandeln die Spannung schrittweise um und verteilen den Strom weiter.
Umspannwerk ist nicht gleich Umspannwerk
So viel zur Theorie. Jetzt wird’s konkret. Wir fahren in die Nordstadt, wo eines der Tübinger Umspannwerke steht. Tübingen bekommt den Strom vom Netzbetreiber Netze BW und der wiederum vom Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW, erklärt Felix. In drei Umspannwerken wird der Hochspannungsstrom auf Mittelspannung gebracht: von 110.000 Volt (oder 110 Kilovolt) auf 20 Kilovolt. Der fließt dann direkt zu größeren Abnehmern oder über weitere Trafostationen zu uns Endverbrauchern. Das Umspannwerk Waldhäuser versorgt gut ein Drittel Tübingens, darunter die Wohngebiete auf WHO, die Kliniken und die Firmen im Cyber Valley.
Doch das Gebäude, vor dem wir stehen, sieht für mich so gar nicht nach Umspannwerk aus. Sind das nicht diese großen Anlagen unter freiem Himmel mit den riesigen Schaltfeldern, Metallmasten und Freileitungen? „Was du meinst, sind konventionelle Umspannwerke, wie zum Beispiel das im Großholz beim Hornbach. Da dient die Luft zur Isolierung. Das braucht Abstand zwischen den Elementen und viel Platz“, sagt Daniel, der Tübingens Umspannwerke technisch betreut. Dieses hier ist vom anderen Typus: klein, kompakt und „gasisoliert“. Was genau dahintersteckt, erfahre ich später im Inneren.
Hier war bis vor Kurzem noch eine Baustelle. Die swt haben alles von Grund auf modernisiert. Ein Riesenprojekt für unsere Jungs vom Stromnetz.
Ein Keller für die Riesen-Muffe
Wir beginnen im Kabelkeller: Dort kommt der Hochspannungsstrom aus den Umspannwerken im Westen und Osten der Stadt an. Alle drei sind miteinander verbunden, um bei Ausfall einer Anlage die Versorgung trotzdem sicherzustellen. Auch Trafos und andere Komponenten im Umspannwerk gibt es mehrfach, es ist redundant aufgebaut – fällt eine Seite aus, übernimmt die andere.
Was hier vor mir mit 110.000 Volt aus der Wand kommt, ist ein dickes „Gasinnendruckkabel“. Die eigentliche Leitung liegt in einem Stahlrohr und ist mit Gas isoliert, so dass wir uns in dem Keller in nächster Nähe ganz normal bewegen können. „Um unsere neue Anlage anzuschließen, mussten wir die letzten Meter Hochspannungsleitung gegen neue, kunststoffisolierte Kabel austauschen“, erklärt Felix. Das sagt sich so leicht: Die Rede ist von zentnerschweren Kabeln, die sich nur mit Spezialgerät biegen lassen. Das 3,70 Meter lange Riesenteil, das Alt und Neu miteinander verbindet, ist eine „Übergangsmuffe“. Nur eine hat im Kabelkeller Platz gefunden, für die andere mussten sie draußen ein zehn Meter langes Loch graben.
Kolossale Zwillinge: die 110-kV-Schaltanlagen
Wir folgen den Starkstromkabeln in die nächste Etage und stehen vor der funkelnagelneuen Hochspannungs-Schaltanlage. Die besteht aus zwei identischen, miteinander verbundenen Maschinen. Hier ist alles kompakt beisammen, was anderswo so viel Platz wie ein halbes Fußballfeld braucht. Leitungsfelder, Leistungsschalter, Spannungswandler und so weiter, unsichtbar verschlossen in dicken Metallgehäusen, die mit Isoliergas gefüllt sind. Zahllose Kabel, Kontrollanzeigen und Schalter sehe ich – all das, um die Hochspannung dahin zu lenken, wo sie hinsoll. Und viel Schutztechnik für die Sicherheit von Personen und der Anlage selbst. Im Fehlerfall muss der Strom ja in kürzester Zeit unterbrochen werden.
Arbeiten unter Hochspannung
Nochmal kommen wir auf den Umbau zu sprechen. Das Umspannwerk Waldhäuser besteht seit 1978. Damals hatte sich seit den 50er-Jahren der Strombedarf der Stadt verzehnfacht. „Ein denkwürdiger Tag“, der Tübingens Stromversorgung „bis weit über das Jahr 2000 hinaus“ sichern würde, sagte Oberbürgermeister Dr. Eugen Schmid bei der Einweihung. So war’s auch.
Doch nach 40 Jahren war das Ende absehbar. Trafos erreichen ihre Leistungsgrenze. Isolierungen können porös werden. Das Störungsrisiko wächst. Man bekommt keine Ersatzteile mehr – zählt Felix auf. Zeit also für eine Modernisierung. In diesem Fall: Kompletterneuerung. Vorbereitet hatten die Stadtwerke das schon lange. 2020 bis 2022 stand die wichtigste Umbauphase an, der Austausch der Schaltanlagen. Beides im laufenden Betrieb, wortwörtlich unter Hochspannung. Und – das ist das Beste – nahezu unbemerkt. Der Strom kam jederzeit zuverlässig aus den Steckdosen.
Wie aufregend das war, schildert Felix: „Ein kleiner Fehler hätte die Versorgung eines Drittels der Stadt lahmlegen können, denn während der Arbeiten mussten wir jeweils eine der Verbindungen zu den anderen Umspannwerken abschalten. Fünf Monate lang hing der Tübinger Norden an nur einer Hochspannungsleitung. Ohne das übliche Backup, dafür mit einer ordentlichen Portion Anspannung und Nervenkitzel. Im Störfall hätten wir über das Mittelspannungsnetz umschalten müssen, Überlastungen nicht ausgeschlossen.“ Klar: Vorher hatten sie Risikoanalysen gemacht und Notfall-Schaltlisten erstellt. Die Kliniken zum Beispiel haben Priorität. „Die Vorbereitung war für mich die stressigste Phase“, erzählt Felix, „denn ich wusste ja: Ab dem Ausschalten der ersten Schaltfelder gibt es kein Zurück mehr – da muss einfach alles laufen.“
Schwierig waren auch die engen Platzverhältnisse. „Wir mussten sämtliche schweren Elemente austauschen und sie über die laufende Anlage und ihre empfindlichen Sensoren heben“, so Felix. „Wir hatten teils nur Zentimeter zum Arbeiten und die alte Kranbahn aus den 70ern, wo man richtig kurbeln muss. Bis zu fünf Leute haben dabei geholfen.“ Sechs Monate waren er und sein Team beschäftigt.
Ganz oben im Gebäude zeigen Felix und Daniel mir die Schaltschränke, die die komplexe Leittechnik enthalten. Sie dient dazu, die Anlage zu überwachen, zu steuern und die Netzsituation jederzeit darzustellen. Unzählige Daten werden hier erfasst und über das swt-eigene Glasfasernetz an die Leitwarte in der Zentrale übertragen.
Der Trafo: das tonnenschwere Herz
Nun gehen wir weiter auf dem Weg des Stroms (der ja immer noch 110 Kilovolt hat) und kommen zum Transformator. Zwei dieser „Trafos“ gibt es, jeder in einem eigenen, sehr hohen Raum. Jeder groß wie ein LKW und 65 Tonnen schwer. Der Trafo übernimmt das eigentliche „Umspannen“, die Spannungswandlung. Kurz: Hochspannung rein – Mittelspannung raus. Was sich im Inneren verbirgt, erklärt mir Daniel: Zwei um Eisenkerne gewickelte Kupferdrahtspulen, die sich in der Anzahl der Wicklungen unterscheiden. Fließt der Strom durch die erste Spule, entsteht ein Magnetfeld, das in der zweiten Spule einen Stromfluss mit geringerer Spannung erzeugt. Der kann dann weiterverteilt werden. Über einen Stufenschalter passt sich der Trafo der Belastung im Netz an.
Im Trafo dient Öl zur Isolation und als Kühlmittel. Die Außenwände sehen wie Heizkörper aus, beinhalten aber die Kühlung. Unter dem Trafo öffnet sich ein Abgrund, Daniel nennt das den „Swimming Pool“: Kammern, um ausgelaufenes Öl auffangen. Die Umweltauflagen sind streng. Und warum brummt der Trafo so laut? Der tiefe, summende Ton entsteht durch das Magnetfeld, das das Innenleben zum Schwingen bringt.
Die 20-kV-Schaltanlage: Wo die Maschen des Netzes beginnen
Nun hat unser Strom also Mittelspannung. Und wie geht’s weiter? Wir folgen den schon etwas weniger dicken Kabeln durch den zweiten Kabelkeller zu – was sonst? – einer weiteren Schaltanlage. Sie führt den Strom den einzelnen Strängen des Netzes zu, knüpft gewissermaßen die ersten Maschen.
Auch die 20-kV-Schaltanlage mit ihren 25 Schaltzellen ist heute auf modernstem Stand. Zwei Jahre hat die Erneuerung gedauert. Mehr als 20 Techniker aus verschiedenen swt-Abteilungen und von Partnerfirmen waren dabei zugange. Alle Kabel raus, die neuen rein, eine Heidenarbeit. Einige Kollegen mussten wochenlang im niedrigen Zwischenboden arbeiten. Auch hier durfte die Stromversorgung natürlich nicht unterbrochen werden – eine provisorische Anlage in Containern im Freien übernahm so lange den Job.
Anders als vorher gibt es keine offenen Schaltzellen mehr. Die sind jetzt berührungssicher verkapselt, also von Metallgehäusen umschlossen und mit technischen Gasen isoliert. Ein Plus an Sicherheit, das auch die Bedienung sehr erleichtert. Hier beginnt der 20-kV-Strom nun seinen Weg ins Netz: direkt zu den großen Firmen in der Nachbarschaft wie Amazon, Ovesco, Curevac oder, auf Niederspannung gebracht, in die Haushalte.
Leistungsfähiger als zuvor ist das Umspannwerk Waldhäuser jetzt und auch für den steigenden Energiebedarf in der Zukunft gut gerüstet. „Wir sind sehr froh, das gemeinsam geschafft zu haben! Und dass alles so glatt gelaufen ist“, resümiert Felix. Nur ganz zum Schluss gab es bei der Prüfung kurz vor Inbetriebnahme einen kleinen technischen Defekt – nicht weiter schlimm zum Glück. „Die Prüfungen zur Abnahme sind ungeheuer aufwändig und dauern Wochen“, erklärt er mir. Mehrere tausend Prozesspunkte, Schaltvorgänge und Messwerte müssen getestet werden – jede einzelne Funktion! Erst wenn alles im grünen Bereich ist, wird scharf geschaltet.
Für Felix war das sein bisher aufregendstes Projekt bei den swt. Während er nun andere Baustellen betreut, ist Daniel weiterhin oft vor Ort. Schaut, ob im Umspannwerk alles in Ordnung ist, prüft Schalter und Schutzgeräte bis hin zu Brandabschottungen.
100 Prozent Vertrauen – null Spielraum für Fehler
Um einen Vergleich zu haben, fährt Daniel mit mir ans andere Ende Tübingens zum Umspannwerk Großholz. Ganz anders als die platzsparende Anlage, von der wir kommen, und doch dasselbe Prinzip, nur als Freiluftanlage.
Man hört es knistern und summen.
Da hier starke elektrische Kräfte wirken, ist Sicherheit extrem wichtig. Was bedeutet das für die Leute, die damit arbeiten? „Im Hochspannungsbereich muss man fit im Kopf sein und immer voll bei der Sache“, sagt Daniel. „Da gibt es null Spielraum für Fehler.“ Allein die Nähe ist wegen des Risikos von Stromüberschlägen gefährlich. Man kennt das von Unglücksfällen, die etwa beim Klettern auf Züge passieren. Und so müssen er und seine Kolleg:innen viele Sicherheitsmaßnahmen beachten und vor jeder Baumaßnahme genaue Einweisungen vor Ort durchführen. Gearbeitet wird im Umspannwerk nur bei ausgeschalteter Leitung und in engem Kontakt mit der Leitwarte. Jeden einzelnen Schritt vorzubereiten und zu sichern, ist sehr aufwändig. Das gilt auch für die offenen 20-KV-Schaltzellen im Gebäude. Daniel führt vor, wie sie sich beim Arbeiten schützen müssen: „Bei Schalthandlungen tragen wir feuerfeste Schutzkleidung der Schutzklasse II, einen Helm mit Gesichtsschutz und feuerfeste Handschuhe. Zum Schneiden der Kabel haben wir eine Sicherheitsschere mit Hydraulik – damit geht das aus bis zu zwölf Metern Entfernung.“ Ob er nie Angst habe, will ich wissen. „Ich weiß genau, an was ich arbeite. Wir haben alle sehr großen Respekt, aber gehen da sehr reflektiert und umsichtig dran. Ängstlich darf man nicht sein in dem Job. Entscheidend ist, dass wir uns unter Kollegen zu 100 Prozent vertrauen.“
Mal ehrlich: Das ist schon etwas ganz Anderes als mein gemütlicher Schreibtisch-Job. Wo es kaum auffällt, wenn ich zum Beispiel einen Redaktionsschluss verpasse oder Druckfehler durchgehen lasse. Was riskiere ich schon, außer vielleicht Rückenschmerzen? Ich kann sie nur bewundern, die Jungs und Mädels (auch die gibt‘s!) vom Stromnetz und vom Technischen Service! Sie und ihresgleichen halten Tübingen am Laufen. Und Umspannwerke, die man ja manchmal in der Landschaft sieht, werde ich von nun an anders betrachten.
Wie es mit dem Strom weitergeht, bis er schließlich unseren Hausanschluss erreicht und ich Kaffeemaschine und Rechner anschmeißen kann, soll Thema einer anderen Folge sein. Da geht es ums Arbeiten im Mittel- und Niederspannungsnetz. Darum, wie unsere Techniker Störungen vorbeugen und was abläuft, wenn doch mal ein Stromausfall passiert.
Übrigens: Die swt sind immer auf der Suche nach guten Fachkräften! Bei Interesse – auch an einer technischen Ausbildung – meldet euch bei unserer Personalabteilung: https://www.swtue.de/unternehmen/karriere.html
Die Autorin: Ich gestehe: Nach fast 20 Jahren swt bringe ich Stromstärke, Leistung, Spannung, Strommenge manchmal immer noch durcheinander.
Ich arbeite dran …
Weiterlesen? Hier geht’s zur Folge 2 der Serie „Unter Strom“
Ich respektiere jede Person, die mit hohen Elektrizitätswerten arbeiten. Da kann ich den Punkt nachvollziehen, dass man sich untereinander zu 100 Prozent vertrauen muss. Für mein Unternehmen möchte ich mir einen Transformator installieren lassen. Hoffentlich lässt sich dafür auch schnell ein Experte für Hochspannungstransformatoren finden.
Hallo Tuula,
vielen Dank für den Kommentar! Ja, das ist ein sehr verantwortungsvoller Job, von dem so viel abhängt. Viel Glück bei deinem Projekt!
Das Blog-Team